Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Erstattungsansprüche der Leistungsträger untereinander. Anspruch des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers. Kinder- und Jugendhilfe. Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege. Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Hilfe für die Betreuung in einer Pflegefamilie. Eignung der Pflegeperson. Leistungskongruenz. Kostenentscheidung bei einem Grundurteil
Leitsatz (amtlich)
1. Jede erforderliche Betreuung eines behinderten Kindes in einer Pflegefamilie ist nach § 54 Abs 3 SGB XII unter den dort genannten Voraussetzungen typisierend Eingliederungshilfe. Es kommt nicht darauf an, ob zusätzlich auch in der Pflegefamilie qualifizierte Leistungen der Eingliederung erbracht werden.
2. Durch den Verweis in § 54 Abs 3 S 2 SGB XII auf die Erlaubnis zur Vollzeitpflege nach § 44 SGB VIII kommen auch die Ausnahmen nach § 44 Abs 1 S 2 SGB VIII zur Anwendung.
3. Ein Grundurteil im Erstattungsstreit erledigt den Rechtsstreit nicht vollständig. Eine gleichwohl ergangene erstinstanzliche Kostenentscheidung ist aufzuheben. Vom Berufungsgericht ist nur über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden.
Normenkette
SGB VIII § 44 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nr. 3, § 10 Abs. 4 Sätze 1-2, § 27 Abs. 1, §§ 33, 39 Abs. 1; SGB XII § 54 Abs. 3 Sätze 1-2, § 19 Abs. 3, § 28 Abs. 5, § 53 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 Sätze 1-2, § 97 Abs. 2 S. 1; SGB IX § 2 Abs. 1 S. 1, § 5 Nrn. 1-2, 4, § 6 Abs. 1 Nr. 6, § 14 Abs. 1, 4; SGB X §§ 102, 103 Abs. 1, 3, § 104 Abs. 1 S. 1, § 107 Abs. 1, § 111 Sätze 1-2; BayAGSG Art. 82 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; EinglHV § 1 Nr. 1; BGB § 1589; SGG § 54 Abs. 4-5, § 130 Abs. 1 S. 1, §§ 143, 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 160 Abs. 2, § 197a Abs. 1 S. 1, § 202 S. 1; ZPO § 304 Abs. 2; VwGO § 155 Abs. 1 S. 3
Tenor
I. Das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 5. Mai 2015, S 11 SO 99/12 ES, wird in Ziffer 1 aufgehoben, soweit der Beklagte verurteilt wurde, dem Kläger die verauslagten Kosten für den Beigeladenen A. in der Zeit vom 01.01.2008 bis 04.08.2009 zu erstatten. Ziffer 2 des Urteils des Sozialgerichts Landshut vom 5. Mai 2015 wird vollständig aufgehoben.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Gegenstand des Verfahrens ist die Erstattung von Kosten, die der Kläger (die Bezeichnung der Beteiligten aus dem erstinstanzlichen Verfahren wird beibehalten) als Träger der Jugendhilfe in Form von Pflegegeldzahlungen (Erziehungsbeitrag und Unterhaltsbedarf) und sonstigen einmaligen Beihilfen für den beigeladenen A. (G.) im Zeitraum vom 01.01.2008 bis zu dessen Volljährigkeit (12.04.2016) erbracht hat. Der Anspruch richtet sich gegen den beklagten überörtlichen Träger der Sozialhilfe.
Der 1998 geborene G. ist körperlich (spastische Bewegungsstörung bei bilateraler Cerebralparese im Sinne einer schwersten statomotorischen Behinderung mit Geh- und Stehunfähigkeit) und geistig (psychomentale Entwicklungsverzögerung) behindert. Nach der Geburt in der 28. SSW wurden bei ihm eine Gehirnblutung und ein Hydrozephalus festgestellt. Es erfolgte eine Versorgung mit Ventilen; neben der linksseitigen Spastik besteht eine Sehbeeinträchtigung. G. ist seit 15.02.2008 Inhaber eines Schwerbehindertenausweises mit einem Grad der Behinderung von 100 und den Merkzeichen "B", "G", "H" (gültig ab 14.10.1999) und "aG". Die Mutter des Beigeladenen verstarb bei seiner Geburt. Sein Vater, dem das Sorgerecht entzogen wurde (Beschluss des Amtsgerichts E-Stadt vom 09.05.2000), verstarb im Jahre 2007. G. lebte seit seiner Geburt bei Pflegeeltern; die Pflegemutter ist die Halbschwester seiner verstorbenen Mutter. Die Pflegeeltern wurden auf Betreiben des Jugendamtes des Klägers durch Beschluss des Amtsgerichts E-Stadt vom 09.05.2000 als Vormund bestellt.
In einem ärztlichen Attest vom 01.03.2000 wiesen die behandelnden Kinderärzte Dres. G. darauf hin, die Pflege von G. sei sehr aufwendig. Er brauche regelmäßige krankengymnastische Übungen, die täglich auch zu Hause durchgeführt werden müssten. Die Pflegemutter sei voll in die krankengymnastischen Maßnahmen sowie in die Frühfördermaßnahmen integriert. Für G. sei es sehr wichtig, in einer Familie aufzuwachsen. Seit 2001 besuchte G. Einrichtungen des heilpädagogischen Förderzentrums (HPZ) E-Stadt. Einem sonderpädagogischen Gutachten von Juni 2001 zufolge ist G. wegen der körperlichen Beeinträchtigungen, aber auch der erheblichen kognitiven Entwicklungsbeeinträchtigungen ein intensiv förderbedürftiges Kind, das in allen Lebens- und Lernbereichen auf intensivste Hilfestellungen angewiesen sei. Im Herbst 2005 wurde G. im HPZ E-Stadt (Förderzentrum mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung) eingeschult. Nachmittags besuchte er die angegliederte heilpädagogische Tagesstätte und erhielt dort regelmäßig Krankengymnastik.
In den Hilfeplänen des Jugendamtes wurden als wesentliche Zielsetzungen die gezielte Förderung des G. hinsichtlich seiner Behinderung und das Aufwachse...