Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an den Nachweis einer berufsbedingten Polyneuropathie bzw. Enzephalopathie zur Anerkennung als Berufskrankheit nach Nr. 1317 BKV
Leitsatz (amtlich)
1. Krankheiten i.S.d. Nr. 1317 der Berufskrankheiten-Verordnung sind die Polyneuropathie durch sonstige toxische Agenzien (ICD 10 G62.2) und die toxische Enzephalopathie (ICD 10 G92).
2. Zu den Beweisanforderungen an das Vorliegen einer BK 1317 und zu den Begriffen toxische Polyneuropathie und toxische Enzephalopathie.
Orientierungssatz
1. Zur Anerkennung einer Polyneuropathie oder Enzephalopathie, verursacht durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische, als Berufskrankheit nach § 9 SGB 7 i. V. m. Nr. 1317 BKV müssen die arbeitstechnischen Voraussetzungen und die Erkrankung i. S. des Vollbeweises nachgewiesen sein.
2. Für das Erscheinungsbild der neurotoxischen Polyneuropathie als Berufskrankheit in diesem Sinn sind typisch arm- und beinbetonte, sensible, motorische oder sensomotorische Ausfälle mit strumpf- oder handschuhförmiger Verteilung.
3. Eine toxische Enzephalopathie ist gekennzeichnet durch diffuse Störungen der Hirnfunktion, Konzentrations- und Merkschwächen, Auffassungsschwierigkeiten, Denkstörungen und Persönlichkeitsveränderungen.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 08.09.2004 wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Revisionsverfahrens vor dem Bundessozialgericht B 2 U 100/12 B trägt die Staatskasse. Ansonsten haben die Beteiligten einander außergerichtliche Aufwendungen nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nummer 1317 (Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische) bzw. nach den Nummern 1302 und 1303 der Anlage I zur Berufskrankheitenverordnung (BK 1317 bzw. BK 1302 und BK 1303).
Am 26.04.2001 ging bei der Beklagten eine ärztliche Anzeige des Nervenarztes Dr. B. über eine Berufskrankheit des Klägers ein, in der ausgeführt wird, der Kläger leide an einer Neuropathie, einer schweren Myopathie, einer schweren Ataxie, einer schweren Leistungsminderung und zunehmenden chemischen Überempfindlichkeit.
Der Kläger war von 1970 bis 1987 als selbstständiger Landwirt, von 1987 bis 1989 als Keramikarbeiter und von 1989 bis 1992 als Lkw-Fahrer tätig. Ab 1992 war er bei der Firma H. GmbH (H) als Maschinenführer beschäftigt. Er kam dort mit Härtern, Leim und Lösungsmitteln sowie Lärm in Kontakt. Im November 2000 gab er diese Tätigkeit auf.
Die Beklagte zog ein Krankheitsverzeichnis der Krankenkasse sowie verschiedene Befundberichte bei, unter anderem Reha-Entlassungsberichte der Rentenversicherung vom 07.04.1998 und vom 10.04.2000. Sie zog die Sicherheitsdatenblätter der Stoffe bei, mit denen der Kläger an seinem Arbeitsplatz bei H in Berührung gekommen war (insbesondere Dynomel L-425, L-435 und Härter H-467, H-469). Zudem holte sie eine Stellungnahme des Facharztes für Arbeitsmedizin Dr. L. ein. Das Gewerbeaufsichtsamt W-Stadt gab am 20.09.2001 eine gewerbeärztliche Stellungnahme durch Dr. R. ab.
Mit Bescheid vom 08.11.2001 (Widerspruchsbescheid vom 14.12.2001) lehnte die Beklagte die Anerkennung einer Berufskrankheit der BK-Zifferngruppe 13, insbesondere der BK 1317, unter Hinweis auf die Stellungnahme des staatlichen Gewerbearztes ab.
Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben. Das SG hat ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie sowie Sozialmedizin Prof. Dr. E. vom 10.03.2003 eingeholt. Auf Veranlassung des SG hat Prof. Dr. D. ein arbeitsmedizinisches Gutachten vom 12.05.2003 erstattet. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 08.09.2004 abgewiesen.
Hiergegen hat der Kläger am 09.11.2004 Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Der Senat hat ein arbeitsmedizinisches Gutachten des Prof. Dr. D. vom 27.07.2006 und ein Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. C. vom 17.09.2007 (mit ergänzenden gutachtlichen Stellungnahmen vom 01.02.2011 und vom 30.08.2011) sowie auf Vorschlag des Gutachters ein psychologisches Zusatzgutachten des Diplom-Psychologen J. F. vom 31.07.2007 eingeholt. Auf Antrag des Klägers hat der Senat auf der Grundlage des § 109 SGG ein Gutachten der Dr. K. vom 06.05.2009 (mit ergänzender, von der Klägerseite vorgelegter Stellungnahme vom 22.01.2010) erstatten lassen. Die Klägerseite hat eine "gutachterliche Stellungnahme zur Darstellung des Standes der Wissenschaft in Sachen BK 1317" des Diplom-Chemikers und "Impulsgebers für den Ersatz des Merkblattes in Sachen BK 1317" Dr. M. vom 21.09.2010 (mit Ergänzung vom 12.04.2011) vorgelegt.
Mit Urteil vom 30.11.2011 hat der Senat die Berufung zurückgewiesen. Auf die Beschwerde des Klägers hat das Bundessozialgericht (BSG) mit Beschluss vom 24.07.2012, B 2 U 100/12 B, das Urteil vom 30.11.2011 aufgeh...