Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Rentenversicherung: Erfordernis eines Antrags auf rückwirkende Befreiung eines Syndikusrechtsanwalts von der Versicherungspflicht
Leitsatz (amtlich)
1. Der Antrag auf rückwirkende Befreiung eines Syndikusrechtsanwalts von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 231 Abs. 4b SGB VI, der bis 01.04.2016 zu stellen war, ist auch dann erforderlich, wenn für diesen Zeitraum bereits ein Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusanwalt nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI gestellt worden ist, über den zu diesem Zeitpunkt (01.04.2016) noch nicht abschließend entschieden war.
2. Der Antrag auf rückwirkende Befreiung kann auch dann nicht fristwahrend beim Sozialgericht gestellt werden, wenn dort ein Verfahren betreffend die Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusanwalt nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI anhängig war. § 91 SGG ist in diesem Fall auch analog nicht anwendbar.
3. Die Annahme, dass im Falle eines offenen Befreiungsverfahrens auf eine Antragstellung nach § 231 Abs. 4b SGB VI verzichtet werden könnte, rechtfertigt im Falle einer Fristversäumnis weder die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand noch begründet dies einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 18. Juni 2020 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 231 Abs. 4b Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) für den Zeitraum vom 01.04.2012 bis 23.03.2016.
I.
Der 1977 geborene Kläger war nach Abschluss des juristischen Vorbereitungsdienstes ab 01.11.2007 bei einer Rechtsanwaltskanzlei als angestellter Rechtsanwalt beschäftigt. Er ist seit 08.05.2008 Pflichtmitglied der Rechtsanwaltskammer München und der beigeladenen Bayerischen Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung. Mit Bescheid vom 26.08.2008 wurde er für diese Tätigkeit auf seinen Antrag von der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung befreit.
Seit 01.04.2012 ist der Kläger bei der A. als Riskmanager angestellt. Am 26.04.2012 beantragte er auch für diese Tätigkeit die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Er legte einen Arbeitsvertrag vom 30.01.2012, eine Vertragsergänzung vom 21.02.2012, eine Bestätigung seiner Arbeitgeberin vom 26.03.2013 und weitere Erläuterungen seiner Arbeitgeberin vom 24.07.2013 vor. Danach sei der Kläger als Riskmanager u.a. rechtsberatend, rechtsvermittelnd, rechtsgestaltend und rechtsentscheidend tätig.
Mit Bescheid vom 09.09.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.02.2014 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab, da es sich bei seiner Tätigkeit als Riskmanager bei der A. um keine berufsspezifische anwaltliche Tätigkeit handle. Für die anschließend zum Sozialgericht München erhobenen Klage ist das Az.: S 47 R 293/14 vergeben worden. Auf Antrag der Beteiligten ist mit Beschluss vom 27.05.2014 das Ruhen des Verfahrens angeordnet worden.
II.
Mit Schriftsatz vom 29.03.2016 (Eingang beim Sozialgericht ebenfalls am 29.03.2016) hat der Bevollmächtigte des Klägers im ruhenden Verfahren Az.: S 47 R 293/14 mitgeteilt, dass der Kläger zwischenzeitlich und innerhalb der Frist des § 231 Abs. 4b SGB VI die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt nach neuem Recht (§§ 46 Abs. 2, 46a Bundesrechtsanwaltsordnung - BRAO -) beantragt habe. Bis zur bestandskräftigen Entscheidung über den Zulassungsantrag solle das Verfahren auch im Hinblick auf verschiedene Verfassungsbeschwerden weiter ruhen. Aufgrund des bereits gestellten Antrags nach § 6 SGB VI sei die "rückwirkende Befreiung" nach § 231 Abs. 4b SGB VI für die weiterhin ausgeübte Tätigkeit bereits als gestellt anzusehen. Rein vorsorglich würden diese Anträge nunmehr formlos gestellt. Vom Sozialgericht ist das Verfahren anschließend unter dem Az.: S 47 R 656/16 fortgeführt worden. Der Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 29.03.2016 ist der Beklagten mit Schreiben des Sozialgerichts München vom 11.04.2016 übersandt worden und dort am 13.04.2016 eingegangen.
Mit Bescheid vom 18.10.2016 ist dem Kläger von der Rechtsanwaltskammer München die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt für seine Tätigkeit bei der A. erteilt worden.
Mit dem streitigen Bescheid vom 06.01.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.05.2017 hat die Beklagte den Antrag des Klägers auf rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht gemäß § 231 Abs. 4b SGB VI abgelehnt. Der Kläger habe seinen Antrag auf rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht nicht innerhalb der gesetzlichen Ausschlussfrist bis zum 01.04.2016 gestellt. Der beim Sozialgericht gestellte Antrag sei nicht fristwahrend im Sinne des § 16 Abs. 2 Satz 2 SGB I erfolgt. Der Schri...