Leitsatz (amtlich)
1. Auch nach dem Urteil des BSG vom 20.07.2005 ist bei Patienten mit einem appallischen Syndrom im Einzelfall zu prüfen, ob die visuelle Wahrnehmung deutlich stärker betroffen ist als die Wahrnehmung in anderen Modalitäten.
2. Das Erfordernis einer spezifischen Störung des Sehvermögens ist nicht nur für die Fälle einer faktischen Blindheit, sondern auch für die Anspruchsgrundlage des Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG zu beachten. Dies gilt jedenfalls, soweit die Ursachen der Blindheit in einem engen Zusammenhang mit der cerebralen Schädigung stehen.
Tenor
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 18. September 2008 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerin einen Anspruch auf Blindengeld nach dem Bayer. Blindengeldgesetz (BayBlindG) hat.
Die 1958 geborene Klägerin kollabierte am 06.01.2006 aufgrund eines akuten transmuralen Myokardinfarkts der Vorderwand. Bei hypoxisch-ischämischer Hirnschädigung besteht seither das klinische Bild eines apallischen Syndroms ("Wachkoma").
Die Klägerin beantragte über ihren Betreuer beim Beklagten am 21.02.2006 Blindengeld. Dieser wertete den Entlassungsbericht des Universitätsklinikums A-Stadt vom 27.01.2006 und ein Gutachten zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit des MDK Bayern aus. In seiner auf Veranlassung des Beklagten gefertigten gutachterlichen Stellungnahme vom 12.07.2006 stellte Prof. Dr. Z., Leiter der Neuropsychologie am P.-Institut für Psychiatrie, G-Stadt, fest, dass die Hirnschädigung ohne Zweifel auch den visuellen Cortex und damit die Sehrinde einschließe; gleichzeitig bestehe aber auch kein Wahrnehmungsvermögen in anderen Modalitäten. Aufgrund der schweren Schädigung sei von faktischer Blindheit auszugehen, auch wenn diese aufgrund fehlender Untersuchbarkeit nicht objektiviert werden könne. Weiter nahm der Neurologe und Psychiater Dr. B. am 13.11.2006 gutachterlich Stellung und kam zu dem Ergebnis eines diffusen hypoxischen Hirnödems mit Engstellung sowie einer aufgehobenen Rindenmarkgrenze.
Mit Bescheid vom 08.12.2006 lehnte der Beklagte den Antrag auf Blindengeld ab. Bei der Klägerin lasse sich Blindheit im Sinne des Gesetzes nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachweisen. In den beigezogenen Unterlagen würden sich keinerlei ausreichende Hinweise für kortikale Blindheit finden. Vielmehr sei ein vollständiges apallisches Syndrom gegeben, bei dem laut Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 20.07.2005 faktische Blindheit nicht angenommen werden könne.
Hiergegen erhob die Klägerin über ihren Betreuer am 02.01.2007 Widerspruch.
Im Widerspruchsverfahren wurde auf Veranlassung des Beklagten eine MRT vom Schädel der Klägerin angefertigt. In ihrer Stellungnahme kam die leitende Radiologin Dr. B. zu dem Ergebnis, dass die Ausweitung der Ventrikel auf einen hochgradigen Defekt vor allen Dingen auch im Occipitallappen hindeuten würde, so dass die Sehrinde weitgehend zerstört sein dürfte. Insgesamt biete sich das ausgeprägte Bild einer hypoxischen Hirnschädigung mit parieto-occipitaler Betonung und konsekutiver Erweiterung sämtlicher innerer und äußerer Liquorräume. Im Folgenden gab Dr. B. erneut eine fachärztliche Stellungnahme für den Beklagten ab und kam u.a. zu dem Ergebnis, dass eine bevorzugte Schädigung oder isolierte Zerstörung der Sehrinden nicht vorliegen würde.
Mit Widerspruchsbescheid vom 20.06.2007 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Das Fehlen jeglicher sinnlicher Wahrnehmung im Rahmen eines apallischen Syndroms könne nicht generell einer Blindheit gleichgesetzt werden. Bei der Klägerin seien sämtliche Gehirnfunktionen auf das Schwerste eingeschränkt, so dass ein bedeutsamer Unterschied der Beeinträchtigung der einzelnen Sinnesmodalitäten nicht festgestellt werden könne. Die vom BSG geforderte stärkere Betroffenheit der visuellen Wahrnehmung als Voraussetzung einer faktischen Blindheit sei nicht gegeben.
Hiergegen richtet sich die am 16.07.2007 zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhobene Klage. Diese ist damit begründet worden, dass die o.g. MRT "genau das Gegenteil" der Feststellung des Beklagten im Widerspruchsbescheid ergeben habe.
Zur Ermittlung des Sachverhalts hat das SG ein neurologisch-nervenärztliches Gutachten von Dr. B. für die Deutsche Rentenversicherung ausgewertet. Bei der klinisch-neurologischen Untersuchung seien, wie der Gutachter u.a. berichtet hat, mittelweite und gleich große Pupillen festgestellt worden; die Lichtreaktion sei beidseits direkt gut erhältlich, der Cornealreflex beidseits gut auslösbar, der okulocephale Reflex negativ gewesen. Auf akustische Reize sei eine deutlich schreckhafte Reaktion festzustellen gewesen. Auf Schmerzreize erfolge keine wesentliche Abwehrbewegung motorisch, jedoch sei ein Anstieg der Herzfrequenz zu bemerken. Die Klägerin sei wach gewesen und habe auf visuelle Reize nicht reagiert, eine Fixierung habe teilweise stattgefunde...