Entscheidungsstichwort (Thema)
Leistung der Grundsicherung im Alter. maßgebliche Beurteilungszeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung. keine ständige Erneuerung des Anspruchs auf Sozialhilfe im Klageverfahren. Fortwirken eines einmal gestellten Antrags im Klageverfahren. Meistbegünstigungsgrundsatzes. individuellen Nutzung nur eines Teils der Wohnung. Anteil am Aufwand für die gesamte Wohnung. Aufteilung eine gemeinsam genutzten Wohnung nach Kopfzahl. absolute Zahl der Nutzer einer Wohnung. Rechtsbegriff der Angemessenheit iS von § 29 SGB XII. Konkretisierung der Produkttheorie in einem mehrstufigen Verfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Lehnt der Sozialhilfeträger eine Leistung der Grundsicherung im Alter vollständig ab, ist über den geltend gemachten Anspruch bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG zu entscheiden, auch wenn der Ablehnung ein Berechnungsbeispiel für ein Jahr zu Grunde gelegt worden ist sowie entsprechende Leistungen über ein Jahr bewilligt werden sollen.
2. Ein Hilfeempfänger, dessen Antrag abgelehnt worden ist, ist im Klageverfahren nicht gehalten, die Anspruchsvoraussetzungen für den Anspruch auf Sozialhilfe ständig bzw. jährlich zu erneuern. Ein einmal nach dem Grundsicherungsgesetz gestellter Antrag wirkt über den Bewilligungszeitraum hinaus fort und ist nicht verbraucht.
3. Im Sinne des Meistbegünstigungsgrundsatzes ist davon auszugehen, dass ein bereits gestellter Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts diejenigen Leistungen beinhaltet, die nach Lage des Falls ernsthaft in Betracht kommen.
4. Wer sich mit einer individuellen Nutzung nur eines Teils der Wohnung und einiger kollektiven Nutzung von Gemeinschaftsräumen begnügt, hat unabhängig von der zivilrechtlichen Gestaltung seines Mietverhältnisses nur einen Anteil am Aufwand für die gesamte Wohnung. Die Motive eines derartigen Verhaltens spielen im Regelfall keine Rolle, da die Sozialhilfe wertneutral die Beseitigung einer Hilfelage zum Gegenstand hat. Familiäre Rücksichtnahmen sind im Regelfall irrelevant.
5. Die Zuordnung der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung bei Nutzung einer Unterkunft durch mehrere Personen erfolgt grundsätzlich nach Kopfzahl.
6. Bei der Aufteilung der tatsächlichen Wohnkosten nach Kopfzahl ist die absolute Zahl der Nutzer einer Wohnung relevant.
7. Ein Abweichen von der starren Pro-Kopf-Aufteilung der Kosten der Unterkunft verlangt besondere Umstände, die sowohl in einem besonders zu berücksichtigenden Bedarf des Hilfesuchenden an Unterkunft als auch in der Person eines der nicht hilfebedürftigen Mitglieder der Haushaltsgemeinschaft bestehen können.
8. Der unbestimmte Rechtsbegriff der Angemessenheit iS von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bzw. von § 29 Abs. 1 S. 2 SGB XII ist unter Zugrundelegung der sog. Produkttheorie in einem mehrstufigen Verfahren zu konkretisieren.
Tenor
I. Der Beklagte wird unter Abänderung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Regensburg vom 19. Januar 2010 sowie des Bescheides vom 22. Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. März 2009 verurteilt, dem Kläger ab 1. Juli 2010 bis 30. Juni 2011 Grundsicherungsleistung wegen Erwerbsminderung in Höhe von 13,32 € monatlich zu zahlen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Der Beklagte hat dem Kläger ein dreißigstel seiner außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des SGB XII zustehen.
Der 1953 geborene Kläger bezog bis Ende Dezember 2008 Leistungen nach dem SGB II (Arbeitslosengeld II). Seit 01.01.2009 erhält er dauerhaft (keine Befristung) eine monatliche Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von 471,81 € (aktuell 484,79 €, Rentenbescheid vom Juli 2009).
Der Kläger wohnte seit Ende 2004 mit seiner 1934 geborenen Mutter (nach deren Scheidung) zusammen sowie immer schon mit seiner 1981 geborenen Tochter (Studentin und seit Geburt bei ihm) in einem angemieteten Einfamilienhaus. Jene ist Rentnerin und lebte mietfrei in einem etwa 11 m² großen Raum, den der Kläger vorher nicht genutzt habe. Sie ist im Juni 2010 ausgezogen. Vertragspartei des Mietvertrages vom 14.04.1986 ist der Kläger. Es handelt sich um ein mit Rigips verkleidetes, schlecht isoliertes Holzhaus. In einem Zusatz zum Mietvertrag ist vereinbart, dass die Kosten für Strom, Wasser, Abwasser und die Gebühren für den Kaminkehrer nicht in der Miete enthalten und vom Mieter zu tragen sind (vgl. Mitteilungen im Verfahren S 4 90/09 ER). Für das ca. 90 m² große Haus war vom Kläger eine monatliche Bruttomiete in Höhe von 234,83 € zu entrichten (Kaltmiete 210 €, jährliches Abwasser 17,90 €, jährliches Wassergeld 105,08 €, jährliche Kaminkehrergebühren 32,12 € und jährliche Abfallgebühren 142,80 €). Später (2010) erhöhte sich das Wassergeld auf 151 €, die Kaminkehrergebühren auf 45,43 €, wohingegen sich die jährlichen Abfallgebühren auf 120 € ermäßigten. Daneben...