Entscheidungsstichwort (Thema)
Rente wegen voller Erwerbsminderung. chronische Erkrankung. Befristung
Leitsatz (amtlich)
Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bei im Vordergrund stehender chronifizierter schwerer Depression, Panikstörung mit Agoraphobie und somatoformer Schmerzstörung.
Orientierungssatz
Sind die Behandlungsmöglichkeiten als ausgeschöpft einzustufen und ist nicht zu erwarten, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann, ist eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, nach § 102 Abs 2 S 5 SGB 6 nicht zu befristen.
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 7. Februar 2008 und unter Aufhebung des Bescheides vom 23. Januar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. März 2006 verurteilt, der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 31. Dezember 2005 hinaus auf unbestimmte Zeit zu gewähren.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerin einen Anspruch auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente über den 31. Dezember 2005 hinaus hat.
Die 1950 geborene Klägerin ist kroatische Staatsbürgerin. Sie erlernte keinen Beruf und arbeitete zuletzt von 1984 bis 1993 als Bestückerin und Montiererin. Die Beklagte hatte einen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit vom 21. Mai 1999 mit Bescheid vom 22. Juni 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Dezember 1999 abgelehnt. Das Sozialgericht München (Az.: S 27 RJ 94/00) hatte im hiergegen gerichteten Klageverfahren ein Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. P. vom 7. November 2000 eingeholt. Es bestehe eine chronische Dysthymie leichten Grades mit Somatisierungstendenz und überlagernden tendenziellen Mechanismen, ein Zervikalsyndrom leichten Grades ohne akute Nervenwurzelreizzeichen, ein Lumbalsyndrom leichten Grades ohne Nervenwurzelreizzeichen sowie ein unklarer hirnorganischer Prozess mit Verdacht auf eine stattgehabte vorübergehende ischämische cerebrale Attacke. Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes könnten noch acht Stunden täglich ausgeübt werden. Die Beteiligten hatten am 27. April 2001 einen gerichtlichen Vergleich geschlossen, der zur Beendigung des Rechtsstreites führte: Die Beklagte hatte eine medizinische Maßnahme zur Rehabilitation gewährt.
Einen erneuten Antrag auf Leistungen wegen Erwerbsminderung vom 15. November 2001 hatte die Beklagte mit Bescheid vom 16. Januar 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2002 abgelehnt. Das Sozialgericht München (Az.: S 13 RJ 715/02) hatte ein Gutachten des Orthopäden Dr. F. vom 29. November 2002 sowie der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. P. vom 4. März 2003 eingeholt.
Dr. F. hatte eine mäßige Spondylose der Brustwirbelsäule (BWS), geringe Osteopenie, eine partielle Bandscheibeneinengung L3-L4, eine Spondylose der Lendenwirbelsäule (LWS), einen Bandscheibenvorfall L4/5, einen Fersensporn beidseits bei Senkspreizfüßen und deutlicher Übergewichtigkeit sowie Purinstoffwechselstörung festgestellt. Mittelschwere körperliche Tätigkeiten könnten noch vollschichtig verrichtet werden.
Dr. P. hatte demgegenüber die Ansicht vertreten, dass aufgrund einer weiteren Verschlechterung des komplexen psychisch/psychosomatischen Störungsbildes eine regelmäßige Leistung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr erbracht werden könne. Im Vordergrund stehe dabei eine Symptomatik aus Agoraphobie mit Panikstörung, somatoformer Schmerzstörung, chronifizierter depressiver Anpassungsstörung und Medikamentenmissbrauch auf dem Boden einer neurotisch-depressiven Primärpersönlichkeit.
Die Beklagte hatte in einem gerichtlichen Vergleich vom 19. September 2003 das Vorliegen voller Erwerbsminderung auf Zeit mit Eintritt des Leistungsfalls am 30. Juni 2002 bis 31. Dezember 2005 anerkannt und ab 1. Januar 2003 Leistungen wegen verminderter voller Erwerbsfähigkeit gewährt.
Im Rahmen eines Antrags auf Weitergewährung holte die Beklagte ein Gutachten des Neurologen Dr. S. vom 12. Dezember 2005 ein. Dieser beschrieb insbesondere eine Persönlichkeitsstörung (histrionische Persönlichkeit), eine cervikales, thorakales und lumbosakrales Wurzelreizsyndrom bei nachgewiesenem kleinen Discusprolaps in Höhe LWK 4/5 mit Spinalstenose ohne hierdurch bedingte neurologische Defizite und ohne Hinweise auf einen aktiven Denervierungsprozess, eine Anpassungsstörung mit verlängerter depressiver Reaktion geringen Grades sowie einen Verdacht auf cerebrale Durchblutungsstörungen mit vasomotorischen Kopfschmerzen, Tinnitus und Vertigo. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes könnten grundsätzlich noch mindestens sechs Stunden täglich ausgeübt werden.
Auch die Internistin F. gelangte in einem Gutachten vom 18. Januar 2006 zu einem Leistungsvermögen von sechs Stunden und...