Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung: Anerkennung von Folgen eines Arbeitsunfalls
Leitsatz (amtlich)
Zur Feststellung der Kausalität nach der Theorie der wesentlichen Bedingung bei einem organischen Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma und einer organischen Wesensänderung als weitere Unfallfolgen.
Orientierungssatz
1. Nach dem Prinzip der wesentlichen Mitverursachung ist nur diejenige Bedingung als ursächlich für einen Unfall anzusehen, die im Verhältnis zu anderen Umständen wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg und dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte (BSG, 27. Oktober 1987, 2 RU 35/87, BSG, 12. April 2005, B 2 U 27/04 R).
2. Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Das schließt eine Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet ist, eine bestimmte körperliche oder seelische Störung hervorzurufen.
3. Für den Vollbeweis einer erlittenen Hirnschädigung bei leichteren Schädel-Hirn-Traumen sind nach der derzeitigen Begutachtungsliteratur zumindest das Vorliegen einer längeren Bewusstlosigkeit als eine Stunde, eine Erinnerungslücke länger als acht Stunden, Verwirrtheit länger als 24 Stunden, fokalzentralneurologische Ausfälle, eine bildgebende Darstellung von Substanzschäden oder EEG-Veränderungen erforderlich. Allein das Vorliegen neuropsychologischer Auffälligkeiten ermöglicht nach derzeitiger wissenschaftlicher Lehrmeinung nicht den Vollbeweis für eine Hirnschädigung.
4. Nach einer HWS-Distorsion bildet sich insbesondere der akute Kopfschmerz nach der Begutachtungsliteratur innerhalb von wenigen Wochen bis maximal zwei Monaten wieder zurück. Danach sind hartnäckige Kopfschmerzen überwiegend durch psychologische Faktoren mitbedingt. Chronische Kopfschmerzen sind allenfalls dann auf den Unfall zu beziehen, wenn discoligamentäre Verletzungen mit bildgebenden Verfahren nachweisbar sind.
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 21. Dezember 2011 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Feststellung eines organischen Psychosyndroms nach Schädel-Hirn-Trauma und einer organischen Wesensänderung als Folgen des Arbeitsunfalls vom 18.10.2005.
Der 1959 im Kosovo geborene Kläger erlitt am 18.10.2005 im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung einen Arbeitsunfall, als ihm als PKW-Fahrer ein anderes Fahrzeug von links die Vorfahrt nahm und in die Fahrerseite fuhr. Der Kläger prallte mit dem Kopf gegen die linke Seite.
Der Durchgangsarzt Prof. Dr. K., Städtisches Klinikum B-Stadt, diagnostizierte am Unfalltag eine Schädelprellung links sowie eine Halswirbelsäulen-(HWS-)Distorsion. Er stellte eine links hochtemporal leichte Schwellung und Rötung durch Prellung fest, ansonsten keine objektivierbaren Auffälligkeiten, kein Anhalt für eine Commotio oder eine Fraktur.
Durchgeführte neurologische Untersuchungen, insbesondere durch Dr. S., Fachärztin für Neurologie (Bericht vom 21.11.2005), und des Dr. K., Facharzt für Neurologie (Bericht vom 08.11.2005), sowie ein durchgeführtes Kernspintomogramm des Gehirnschädels vom 21.10.2005 ergaben keine Hinweise auf höhergradige Verletzungen.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts zog die Beklagte ein Vorerkrankungsverzeichnis der AOK Bayern vom 17.01.2006, Befundberichte der behandelnden Ärzte, insbesondere des Dr. R., Facharzt für Augenheilkunde, vom 17.01.2006 und des Prof. Dr. B./Prof. Dr. B./Prof. Dr. W., Fachärzte für Chirurgie, Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik M., vom 20.02.2006 bei und lehnte darauf gestützt mit Bescheid vom 11.04.2006 einen Zusammenhang der Beschwerden ab dem 14.11.2005 mit dem Arbeitsunfall ab.
Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.04.2007 als unbegründet zurück.
Dagegen hat der Kläger am 16.05.2007 Klage beim Sozialgericht München (SG) erhoben und beantragt, unter Abänderung des Bescheides der Beklagten vom 11.04.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.04.2007 festzustellen, dass folgende Gesundheitsstörungen Folgen des Arbeitsunfalls vom 18.10.2005 sind: Organisches Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma (ICD-10: F 07.0); organische Wesensänderung (ICD-10: F 07.2).
Zur Aufklärung des Sachv...