Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsunfall. Unfallfolgen. Vollbeweis. organisches Psychosyndrom. Schädel-Hirn-Trauma. Kausalität
Leitsatz (amtlich)
Ist ein Schädel-Hirn-Trauma nicht im Vollbeweis als Gesundheitserstschaden nachgewiesen, scheidet die Feststellung eines organischen Psychosyndroms nach Schädel-Hirntrauma als Unfallfolge aus.
Ist davon auszugehen, dass eine bestimmte Gesundheitsstörung ohne das Unfallereignis nicht aufgetreten wäre, ist das Unfallereignis conditio sine qua non.
Die Feststellung, dass das Unfallereignis zudem rechtlich wesentliche (Teil-)Ursache war, bedarf bei Krankheitsbildern mit mulitfaktorieller Genese der Feststellung und Gewichtung der verschiedenen Ursachenbeiträge.
Normenkette
SGB VII § 8 Abs. 1 S. 2
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 10.06.2010 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob eine somatoforme Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, ein leichtes organisches Psychosyndrom nach Schädelhirntrauma und eine spezifische Phobie weitere Folgen des Wegeunfalls der Klägerin vom 15.12.2000 sind.
Die 1961 geborene Klägerin erlitt am 15.12.2000, gegen 15:432135 Uhr auf dem Heimweg von ihrer Arbeitsstätte als Niederlassungsleiterin bei der Fa. H. in A. zu ihrer Wohnung in A-Stadt mit ihrem Dienstfahrzeug auf der M. Straße in A. einen Autounfall. Die Klägerin hatte angehalten, weil ein Fahrzeug vor ihr links abbiegen wollte. Als sie zur Weiterfahrt gerade den ersten Gang einlegen wollte, fuhr ein von hinten kommender Lkw auf ihr noch stehendes Auto auf. Die angeschnallte Klägerin wurde schräg nach vorne geschleudert und prallte anschließend zurück, wobei ihr Kopf gegen die Kopfstütze und die linke Hüfte gegen den Sitz oder die Tür stieß. Bewusstlosigkeit trat nicht auf.
Unmittelbar nach dem Unfall hatte sie starke Schmerzen am Hinterkopf und im linken Hüftbereich. Sie fuhr nach Aufnahme des Unfalls durch die Polizei selbst etwa eine 3/4 Stunde mit dem Pkw nach Hause. Etwa zwei Stunden nach dem Unfall entwickelten sich heftige Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule (HWS) und der linken Schulter. Am nächsten Morgen bestanden neben einer Verspannung im rechten Bein starke Kopfschmerzen mit Schwindel, so dass die Klägerin vormittags das Rotkreuzkrankenhaus in A-Stadt aufsuchte.
Der Chirurg und Durchgangsarzt Dr. P. diagnostizierte im Bericht über die Behandlung am 16.12.2000 eine HWS-Distorsion. Es bestanden HWS-Schmerzen und Myogelosen bei unauffälligem grob neurologischem Befund. Die Röntgenbilder zeigten eine HWS-Steilstellung.
Laut Arztbrief vom 16.01.2001 waren nach Arbeitsversuch der Klägerin vermehrt Kopfschmerzen aufgetreten. Eine kernspintomographische Untersuchung (MRT) der HWS vom 17.01.2001 zeigte eine mäßige, mediane, dorsale Discus-Protrusion bei C 5 /6 bei intaktem hinterem Längsband. Es bestanden keine Hinweise für eine Gefügelockerung, knöcherne Verletzungen, pathologische Veränderungen am cervicalen Myelon oder muskuläre Einblutungen. Ein MRT der HWS vom 28.02.2001 zeigte ebenfalls eine kyphotische Fehlhaltung sowie die Protrusion C5/6 mit Pelottierung des Thekalsackes und angedeuteter Verformung des Halsmarks.
Laut Zwischenbericht von Prof. G. vom 22.03.2001 gab die Klägerin an, dass sich die Nacken- und Verspannungsschmerzen zunächst zwei Wochen nach dem Unfall gebessert hätten, aber im Rahmen eines Arbeitsversuchs innerhalb weiterer zwei Wochen deutlich gestiegen seien. Sie arbeitete seit 29.01.2001 wieder vollschichtig. Beklagt wurden messerstichartige Schmerzen im Nacken und Schultergürtelbereich; Medikamente (Analgetika, Antiphlogistika oder Muskelrelaxantien) nehme sie nicht.
Am 29.03.2001 beklagte die Klägerin bei Dr. D. einen leichten unkontrollierten Tremor des ersten Fingers rechts sowie Parästhesien an beiden Händen.
Gegenüber dem Neurologen und Psychiater Dr. F. schilderte die Klägerin am 14.05.2001 linksseitig unverändert Nacken- und Hinterkopfschmerzen mit Bewegungseinschränkung und Ausstrahlung in die Schultern sowie teilweise unwillkürliche Bewegungen der Finger I und III links. Anhaltspunkte für traumatische Rückenmarks-, Nervenwurzel- oder periphere Nervenläsionen bestanden bei Untersuchung nicht. Dr. F. hielt die motorischen Störungen für leichte Reizerscheinungen, deren vollständige Rückbildung zu erwarten sei. Nach Verlaufsbericht von Dr. D. vom 01.10.2001 bestanden keine unwillkürlichen Fingerzuckungen mehr.
Die Beklagte holte ein verkehrsanalytisches Gutachten des Diplomingenieur Dr. S. vom 20.06.2002 ein. Danach lag die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung zwischen 11 und 14 km/h und wurde mit 14 km/h angesetzt.
Die Beklagte holte weiter ein Gutachten des Orthopäden Dr. K. vom 13.09.2002 ein. Während keine Hüftbeschwerden mehr bestanden, litt die Klägerin - insbesondere nach PC-Arbeiten - immer wieder an Verspannungen und ausstrahlenden ...