Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Rentenversicherung: Befreiung von der Versicherungspflicht bei einer Tätigkeit als angestellter Rechtsanwalt
Leitsatz (amtlich)
1. Rechtsanwälte sind für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit in der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Satz 1 Nr. 1 SGB VI zu befreien, wenn die rechtsanwaltschaftliche Zulassung die rentenversicherungspflichtige Betätigung mit umfasst.
2. Da das anwaltliche Berufsrecht die Betätigungen, die von der Zulassung umfasst werden, nicht positiv eingrenzend, sondern nur negativ abgrenzend beschreibt, kann nur für solche Betätigungen eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht verweigert werden, die das Berufsrecht mit der Ausübung des Rechtsanwaltsberufs als nicht vereinbar oder als keine rechtsanwaltschaftliche Betätigung darstellend bezeichnet.
3. Die Betätigung als sog. Syndikus stellt, wie § 43 BRAO eindeutig zu entnehmen ist, keine rechtsanwaltschaftliche Berufsausübung dar und ist von der Zulassung als Rechtsanwalt nicht umfasst. Damit darf eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für die Beschäftigung/Tätigkeit als Syndikus nicht erfolgen.
4. Darüber hinaus ist jede in einem Arbeitsverhältnis ausgeübte juristisch rechtsberatende Beschäftigung von der anwaltlichen Zulassung nicht umfasst, sofern sie nicht als angestellter Rechtsanwalt in einer Rechtsanwaltskanzlei/-gesellschaft erfolgt, weil dort die rechtsberatende Arbeitsleistung als Dienstleistung gegenüber externen Mandanten und nicht unternehmensintern erfolgt.
5. Die sog. vier Kriterien finden im Gesetz keine Grundlage und erscheinen für die Entscheidung über die Befreiung von der Versicherungspflicht irrelevant.
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts München vom 15. April 2011 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 20. November 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Juni 2010 abgewiesen.
II. Die dem Kläger in beiden Instanzen entstandenen außergerichtlichen Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung ab dem 01.04.2010 streitig.
Der 1969 geborene Kläger war ab dem 01.12.1999 als Rechtsanwalt zugelassen und ab diesem Zeitpunkt bis zum 31.12.2000 Mitglied im Versorgungswerk Baden-Württemberg. Ab dem 01.01 2001 bis zum 01.09.2008 war er Mitglied in der Bayerischen Versorgungskammer für Rechtsanwälte und Steuerberater. Mit Bescheid der beklagten Rentenversicherung vom 18.07.2000 war er mit Wirkung vom 17.12.1999 zugunsten des Versorgungswerks von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit worden.
Mit Schreiben vom 26.09.2008 teilte die Bayerische Versorgungskammer der Beklagten mit, dass die Mitgliedschaft des Klägers im Versorgungswerk mit Ablauf des 01.09.2008 geendet habe. Der Kläger bestätigte mit Schreiben vom 20.10.2008, dass er nach seinem Ausscheiden aus der Bayerischen Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung zum 01.09.2008 nicht Pflichtmitglied in einem anderen Versorgungswerk geworden sei. Daraufhin hob die Beklagte mit Bescheid vom 27.10.2008 die im Jahr 2000 erteilte Befreiung von der Versicherungspflicht auf.
Am 29.06.2009 stellte der Kläger einen erneuten Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Er teilte mit, seit dem 01.02.2008 als Krisenmanager bei der Y - Bank GmbH berufsspezifisch beschäftigt zu sein. Am 23.06.2009 habe er einen Antrag auf Mitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer B-Stadt gestellt.
Vorgelegt wurde ein auf unbestimmte Zeit geschlossener Dienstvertrag mit der Y - Bank GmbH vom 31.10.2007, wonach der Kläger ab dem 01.02.2008 mit einer Arbeitszeit von 40 Stunden als Risiko-Spezialist im Funktionsbereich "Problemkredite" tätig sei. Geregelt sei ferner, dass jede auf Erwerb ausgerichtete Nebentätigkeit einer ausdrücklichen schriftlichen Genehmigung bedürfe. Unter dem 28.02.2008 war dem Kläger eine solche Genehmigung für eine Nebentätigkeit als Insolvenzverwalter ("Abschluss eines Verfahrens aus der ehemaligen selbständigen Tätigkeit") erteilt worden unter dem Vorbehalt, dass die Arbeitszeit bei der Y - Bank GmbH nicht zur Ausübung der Nebentätigkeit verwendet wird. Vorgelegt wurde ferner eine Bestätigung der Y - Bank GmbH vom 17.06.2009, dass der Kläger in ihrem Unternehmen als Rechtsanwalt bzw. rechtsberatend, rechtsentscheidend, rechtsgestaltend und rechtsvermittelnd tätig sei. Einer Stellenbeschreibung ist zu entnehmen, dass für die vom Kläger übernommene Tätigkeit ein abgeschlossenes Hochschulstudium (Wirtschaftswissenschaften oder Jura) verlangt wurde.
Die Bayerische Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung teilte unter dem 26.08.2009 mit, dass der Kläger aufgrund gesetzlicher Verpflichtung Mitglied der Rechtsanwaltskammer B-Stadt und seit dem 23.07.2009 kraft Gesetzes Mitglied ...