Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenversicherung. Befreiung von der Versicherungspflicht. angestellter Compliancespezialist. nichtanwaltlicher Arbeitgeber. rechtsanwaltliche Tätigkeit. Vierkriterientheorie. Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
Leitsatz (amtlich)
1. Rechtsanwälte sind für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit in der Rentenversicherungspflicht nach § 6 S 1 Nr 1 SGB 6 zu befreien, wenn die rechtsanwaltschaftliche Zulassung die rentenversicherungspflichtige Betätigung mit umfasst.
2. Da das anwaltliche Berufsrecht die Betätigungen, die von der Zulassung umfasst werden, nicht positiv eingrenzend, sondern nur negativ abgrenzend beschreibt, kann nur für solche Betätigungen eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht verweigert werden, die das Berufsrecht mit der Ausübung des Rechtsanwaltsberufs als nicht vereinbar oder als keine rechtsanwaltschaftliche Betätigung darstellend bezeichnet.
3. Die Betätigung als sog Syndikus stellt, wie § 43 BRAO eindeutig zu entnehmen ist, keine rechtsanwaltschaftliche Berufsausübung dar und ist von der Zulassung als Rechtsanwalt nicht umfasst. Damit darf eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für die Beschäftigung/Tätigkeit als Syndikus nicht erfolgen.
4. Darüber hinaus ist jede in einem Arbeitsverhältnis ausgeübte juristisch rechtsberatende Beschäftigung von der anwaltlichen Zulassung nicht umfasst, sofern sie nicht als angestellter Rechtsanwalt in einer Rechtsanwaltskanzlei/-gesellschaft erfolgt, weil dort die rechtsberatende Arbeitsleistung als Dienstleistung gegenüber externen Mandanten und nicht unternehmensintern erfolgt.
5. Die sog vier Kriterien finden im Gesetz keine Grundlage und erscheinen für die Entscheidung über die Befreiung von der Versicherungspflicht irrelevant.
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts München vom 17. August 2012 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 15. April 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. August 2011 abgewiesen.
II. Die der Klägerin in beiden Instanzen entstandenen notwendigen Auslagen sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig ein Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung.
Die 1977 geborene Klägerin wurde am 20.10.2005 durch die Rechtsanwaltskammer A-Stadt zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Sie ist Mitglied der Rechtsanwaltskammer für den OLG Bezirk A-Stadt (Beigeladene zu 2.) und seit dem 09.11.2005 Mitglied der Bayerischen Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung (Beigeladene zu 1.).
Bereits am 05.12.2005 hatte sie die Befreiung von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung beantragt als angestellte Rechtsanwältin (Associate) in der Anwaltskanzlei S., F..
Mit Bescheid vom 19.01.2006 hatte die Beklagte sie für die Tätigkeit als Rechtsanwältin bei S. F. ab Beginn der Pflichtmitgliedschaft in der Versorgungseinrichtung und der Berufskammer (09.11.2005) von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI befreit.
Mit weiterem Antrag vom 21.02.2012 begehrte die Klägerin erneut die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unter Hinweis auf ein Anstellungsverhältnis als Rechtsanwältin bei der D. AG S. (i.f. D. AG). Auf Nachfrage legte sie ein Schreiben des Chief Compliance Officers der D. AG vom 05.04.2011 vor. Darin wird bestätigt, dass die Klägerin als Rechtsanwältin in der Abteilung Group Compliance anwaltlich tätig sei. Ihre Berichtslinie verlaufe unmittelbar über den Chief Compliance Officer an das zuständige Vorstandsmitglied für das Ressort Integrität und Recht. Die Aufgabe der Mitarbeiterin bestehe darin, die rechtlichen Angelegenheiten und Interessen der D. AG im Bereich Group Compliance umfassend und selbstständig wahrzunehmen. Sie sei in der Sache des Rechts weisungsfrei und in der Rechtsberatung unabhängig und gehöre zum Kreis der leitenden Angestellten.
Übergeben wurde auch ein Schreiben des Arbeitgebers vom 27.01.2011, in dem es der Klägerin für die Dauer des Anstellungsverhältnisses unwiderruflich gestattet wird als Rechtsanwältin tätig zu werden und sie insoweit von ihren Pflichten gegenüber der D. AG freistellt.
Daneben wurde vorgelegt ein Schreiben der Beigeladenen zu 2. des Inhalts, dass im Hinblick auf § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO hinsichtlich der angezeigten Tätigkeit berufsrechtlich keine Bedenken bestünden.
Mit Bescheid vom 15.04.2011 lehnte die Beklagte den Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht für die Tätigkeit bei der D. AG mit der Begründung ab, dass die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorlägen. Es handele sich insoweit nicht um eine berufsständische, anwaltliche Tätigkeit.
Den dagegen eingelegten Widerspruch, der auf die Gründe des Urteils des Hessischen Landessozialgerichts vom 29.10.2009 (L 8 KR 189/08) gestützt wurde, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22.08.2011 zurück.
Be...