Entscheidungsstichwort (Thema)
Merkzeichen RF. Berücksichtigung der Wohnverhältnisse
Leitsatz (amtlich)
Bei der Frage, ob ein Behinderter die gesundheitlichen Voraussetzungen für Merkzeichen RF erfüllt, können die ungünstigen Wohnverhältnisse des Behinderten nicht zu seinen Gunsten berücksichtigt werden.
Normenkette
SGB IX § 69 Abs. 4; RGebStV § 6 Abs. 1 Nrn. 7-8
Tenor
I. Auf die Berufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozial-gerichts Nürnberg vom 25. Januar 2010 insoweit aufgehoben, als der Beklagte verurteilt worden ist, die gesundheitlichen Voraussetzungen für Merkzeichen RF festzustellen.
II. Der Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zur Hälfte zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist der Anspruch des Klägers auf den Nachteilsausgleich/ das Merkzeichen RF (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX).
Der 1929 geborene Kläger wohnt allein in einer ca. 25 m² großen, im dritten Obergeschoß gelegenen Wohnung, die nur über eine enge Treppe zu erreichen ist. Er kann aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen nicht mehr Treppen steigen.
Für ihn waren im Juni 2007 ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 und die gesundheitlichen Voraussetzungen für Merkzeichen G (erhebliche Gehbehinderung) festgestellt worden. Auf seinen Antrag vom 27.03.2008 hin, der auf die Erhöhung des GdB und Zuerkennung der Merkzeichen aG (außergewöhnliche Gehbehinderung) sowie RF gerichtet war, erhöhte der Beklagte mit Bescheid vom 01.07.2008 den GdB auf 80. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die beantragten Merkzeichen lägen, so der Beklagte, nicht vor. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass die Voraussetzungen für Merkzeichen RF nicht erfüllt seien, da mit Hilfe von Begleitpersonen und technischen Hilfsmitteln (z.B. Rollstuhl) eine Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen noch möglich sei.
Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, dass er wegen seiner Behinderungen nicht an politischen öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen könne. Wegen seiner Schmerzen in der Hüfte und in den Knien könne er das Haus aus eigener Kraft nicht mehr verlassen. Dies sei nur mit Hilfestellung zweier Männer (Sanitäter) möglich. Er habe Angst zu stürzen, was ihm vor vier Jahren auch passiert sei. Seit diesem Unfall verlasse er das Haus nicht mehr. Es sei ihm unmöglich, Treppen zu steigen, da er die Kraft dazu nicht habe. Er könne auch die Knie nicht ausreichend abbiegen wegen der Schmerzen, die von der kaputten Hüfte in die Beine ausstrahlen würden. Im Haus bewege er sich ausschließlich mittels Krücken. Es falle ihm sehr schwer, seinen Körper aufrecht zu halten, da die Schmerzen ihn daran hindern würden. Bereits beim Aufstehen habe er große Schmerzen im linken Knie. In beiden Beinen habe er Wasserödeme. Sehr oft leide er unter dicken angeschwollenen Beinen. An einer Hand leide er an Gicht, so dass er sich mit dieser Hand nicht festhalten oder etwas heben könne. Seine Hüfte sei völlig kaputt und es sei keine Muskelkraft mehr in den Beinen vorhanden. Eine Operation, zu der die Hausärztin geraten habe, sei gescheitert, weil die Durchblutung in seinen Beinen zu schlecht sei. Der Oberarzt habe das Risiko einer Hüftoperation abgelehnt. Vor vielen Jahren habe er einen Arbeitsunfall gehabt. Seither sei sein linker Arm verkürzt, die Motorik in diesem Arm sei erheblich eingeschränkt. Er könne damit nur schwer greifen und nicht schwer heben.
Als dem Beklagten die vom Unfallversicherungsträger angeforderten Unterlagen über den Arbeitsunfall im November 1985 vorlagen (MdE 20 v.H. wegen Schädigungsfolgen im Bereich des linken Arms), erteilte er einen Teilabhilfe-Bescheid vom 23.09.2008, mit dem er zusätzlich die gesundheitlichen Voraussetzungen für Merkzeichen B (Begleitperson bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel) anerkannte. Die Gesundheitsstörungen wurden wie folgt bezeichnet:
1. Funktionsbehinderung beider Kniegelenke, Funktionsbehinderung des Hüftgelenks links, Polyarthrose, wiederkehrende Beingeschwüre rechts, arterielle Verschlusskrankheit beider Beine (Einzel-GdB 70)
2. Lungenfunktionseinschränkung (Einzel-GdB 40)
3. Bewegungseinschränkung und Belastbarkeitsminderung des rechten Arms (Arbeitsunfallfolgen) (Einzel-GdB 20)
4. Gicht mit Gelenkbeteiligung (Einzel-GdB 10)
5. Bluthochdruck (Einzel-GdB 10).
Der Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 04.02.2009 zurückgewiesen.
Mit der am 24.02.2009 zum Sozialgericht Nürnberg erhobenen Klage hat der Kläger weiterhin Merkzeichen aG verlangt. Er hat beanstandet, dass sein Gesundheitszustand nach Aktenlage nicht richtig beurteilt worden sei. Nach Beiziehung von Befundberichten der behandelnden Ärzte hat das Sozialgericht Dr. G., Facharzt für öffentliches Gesundheitswesen, mit einem Gutachten zur Frage des GdB und des Merkzeichens aG beauftragt, das dieser am 04.11.2009 nach Untersuchung des Klägers im Wege eines Hausbesuchs erstattet hat. Der Sachverständige hat wegen zusät...