Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld. Differenzbetrag. Waisen. Spanien. Begründung. Mitwirkung. Ermessen. Wirtschaftliche Notlage. Einkommensnachweis. Familienstandsbescheinigung. Neuantrag. Auslegung. Ermessensreduzierung auf Null. Verjährung
Leitsatz (redaktionell)
1. Hat die Behörde Ermessen auszuüben, muss die Begründung ihres Bescheids ihre Erwägungen erkennen lassen, andernfalls ist er rechtswidrig.
2. Ob bei Nachholung der Mitwirkung Leistungen gem. § 67 SGB I auch für die Vergangenheit erbracht werden, steht grundsätzlich im Ermessen der Behörde. Hierbei hat sie alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Es kommt nicht allein darauf an, ob die Versäumnis der Mitwirkung auf einem wichtigen Grund i.S.v. § 65 Abs. 1 Nr. 2 SGB I beruht.
3. Holt ein Kindergeldberechtigter die versäumte Mitwirkung nach, hat die Behörde Kindergeld jedenfalls für die sechs Kalendermonate vor der Nachholung zu erbringen (Ermessensreduzierung auf Null).
Normenkette
SGB I § 2 Abs. 2, § 65 Abs. 1 Nrn. 2-3, §§ 66-67; SGB X § 44 Abs. 2 S. 2, Abs. 4; BKGG § 5 Abs. 2, § 9 Abs. 2, § 10 Abs. 1-2, § 11 Abs. 3-4, § 20 Abs. 2, 5; (EG) 1408/71 Art. 78 Abs. 1-2
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 29. September 2003 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig zwischen den Beteiligten ist die Verpflichtung der Beklagten, über die Zahlung von Kindergeld (des Unterschiedsbetrags zwischen spanischen und deutschen Leistungen der Familienbeihilfe) für drei Kinder im Zeitraum von Januar 1996 bis einschließlich August 2000 ermessensgerecht zu entscheiden.
Die 1943 geborene Klägerin und Berufungsbeklagte (im folgenden nur Klägerin genannt) mit Wohnsitz in Spanien ist Witwe eines am 13.07.1992 gestorbenen Wanderarbeitnehmers, der in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) von November 1970 bis März 1982 versicherungspflichtig beschäftigt war (134 Monate Pflichtbeiträge) und in Spanien von April 1982 bis Juni 1992 Beitragszeiten zurückgelegt hat. Aus der Ehe sind die Kinder M., geb. 1981, C., geb. 1983, und P., geb. 1984, hervorgegangen. Die älteste Tochter C. stand ab dem 18. Lebensjahr (1999/2000) in Berufsausbildung .
Am 24.07.1995 ging bei der Beklagten und Berufungsklägerin (im folgenden nur Beklagte genannt) ein Antrag (Formblatt KG 51 R) auf Gewährung von Kindergeld für drei Kinder mit Hinweis auf den Bezug einer Rente von der Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz und mit vom spanischen Leistungsträger auf Formblatt E 411 R bescheinigten Familienzuschlägen von 3.000,00 Peseta pro Kind zu einer Rente (gemeint: "spanisches" Kindergeld zur Hinterbliebenenrente der Klägerin) ein. Nach Mitteilungen der Landesversicherungsanstalt (LVA) Rheinprovinz vom 04.06.1996 über die Höhe der Waisenrenten nach deutschem Recht (z.B. 124,20 DM monatlich für ein Kind im Jahre 1992) und der von 1992 bis 1995 nahezu doppelt so hohen Waisenrenten nach spanischem Recht (z.B. 253,54 DM monatlich im Jahre 1992 für ein Kind) wurde von der LVA unter Anrechnung der spanischen Waisenrente (nicht des "spanischen" Kindergelds) lediglich eine kleine Teilsumme der Waisenrenten für Juli 1992 (Teilmonat) gezahlt; im Übrigen ergab sich (damals) ein Zahlbetrag von 0,00 DM.
Mit Schreiben vom 16.07.1996 forderte die Beklagte von der Klägerin unter Übersendung von fünf Formblättern in der Anlage an:
a) Familienstandsbescheinigung (E 401) für die in Spanien lebenden Kinder,
b) Ausfüllen von Fragebögen (nicht benannt, offensichtlich vier Fragebögen zum Einkommen der Eltern von 1990 bis 1993 wegen der Kindergeldhöhe von 1992 bis 1995); Nachweise seien nur über das Einkommen der Klägerin für die Jahre 1990 bis 1993 beizufügen),
c) Beantwortung verschiedener Fragen ("Wo hat der verstorbene Ehemann zuletzt in Deutschland gewohnt und gearbeitet und bis wann? Wann sind er, sie und die Kinder nach Spanien zurückgekehrt?").
Zur Erledigung wurde der Klägerin eine Frist bis zum 30.10.1996 gesetzt und bei Nichteinhalten des Termins ohne wichtigen Grund angekündigt, das Kindergeld ohne weitere Ermittlungen bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz gemäß § 66 Sozialgesetzbuch Teil I (SGB I) zu versagen, soweit die Voraussetzungen zwischenzeitlich nicht nachgewiesen seien.
Als die Klägerin nicht reagierte, erteilte die Beklagte im Anschluss an ein Mahnschreiben vom 13.11.1996 den Bescheid vom 21.01.1997, mit dem sie unter kurzer Anführung der fehlenden Unterlagen und Antworten der Klägerin (s. oben a bis c) das Kindergeld gemäß § 66 SGB I versagte und darauf hinwies, dass die Mitwirkung zur Vermeidung von Rechtsnachteilen umgehend zu erbringen oder die Beklagte zumindest über Hinderungsgründe zu unterrichten sei; bei einer späteren Nachholung der Mitwirkung komme eine Nachzahlung des Kindergelds nur in Ausnahmefällen in Betracht.
Am 07.02.1997 ging bei der Beklagten ein unbeholfen verfasstes Schreiben der Klägerin mit Antwo...