Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Übernahme von Beiträgen zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung. Begrenzung des Sozialhilfeanspruchs. Angemessenheit. keine Leistungsverweigerung wegen Zweckverfehlung. Rechtsanspruch. Zumutbarkeit des Wechsels in den Basistarif
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Begrenzung des Sozialhilfeanspruchs darf nur aus wirtschaftlichen Überlegungen in Auslegung des notwendigen Lebensunterhaltes nach § 27 SGB 12 und nicht zur Erzwingung einer Verhaltensänderung erfolgen.
2. Die Angemessenheit des Aufwands iS von § 32 Abs 5 SGB 12 ist nur Merkmal einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise, ohne dass damit eine Verkürzung des Leistungsanspruchs verbunden werden kann.
3. Der Sozialhilfeträger kann bei der Erfüllung des aus § 32 Abs 5 SGB 12 zustehenden Anspruchs die Leistung nicht wegen Zweckverfehlung verweigern.
4. § 32 Abs 5 S 1 SGB 12 räumt dem Gesetzgeber einen Rechtsanspruch iS von § 38 SGB 1, § 17 SGB 12 ein, den die Verwaltung nicht im Wege der Erfüllung schmälern darf. Der Verwaltung sind nach § 32 Abs 5 S 1 SGB 12 bei der Erfüllung der Leistung keine Gestaltungsmöglichkeiten gelassen.
5. Leistungen im sog Basistarif der substitutiven Krankenversicherung entsprechen dem Versorgungsniveau der Krankenbehandlung nach dem SGB 5 und dem der Ansprüche nach § 48 SGB 12.
6. Ein Wechsel in den Basistarif ist zumutbar. Nach § 32 Abs 5 S 1 SGB 12 besteht nur ein Anspruch auf Übernahme eines Aufwandes, der Leistungen im Umfang des Basistarifes sicherstellt.
7. In vielen Fällen reicht zur Bedarfsdeckung bei Hilfe zur Gesundheit eine Bescheinigung des Sozialhilfeträgers über die drohende Hilfebedürftigkeit, die zur Beitragsreduzierung führt und dem Versicherten die Entrichtung des hälftigen Beitrags selbst ermöglicht.
8. Sog Bestandsversicherten (vor dem 1.1.2009 privat krankenversicherten Sozialhilfeempfängern) muss vom Krankenversicherungsunternehmen nach § 193 Abs 5 S 2 VVG eine Versicherung im Basistarif eingeräumt werden.
9. Keine Notwendigkeit zur Beibehaltung und Erstattung des Wahltarifs in der privaten Übersiedelung, weil sonst Überschuldung droht.
10. Aus der Systematik des Zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs und vermeintlich übergeordneten Grundsätzen des Sozialhilferechts entnimmt das Bundessozialgericht zu Recht keine Ausschlussnormen.
11. Allgemein zur Krankenversicherung der Sozialhilfeempfänger.
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 7. Februar 2011 dahingehend abgeändert, dass die Beklagte verurteilt wird, der Klägerin für die Zeit vom 1. Januar 2009 bis zum 28. Februar 2009 529,00 Euro zu zahlen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin 11/12 der außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten sind Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung im Streit. Konkret geht der Streit um den Umfang der Leistungen (§ 42 SGB XII), um Beiträge zur privaten Krankenversicherung als zusätzlichen Bedarf nach dem Zweiten Abschnitt des Dritten Kapitels des SGB XII.
Die Klägerin ist als ehemalige Selbstständige bei der Bayerische Beamtenkrankenkasse privat krankenversichert. Der monatliche Beitrag zu dieser Kranken- und Pflegeversicherung betrug im streitigen Zeitraum rund 850 Euro (Jahresbeitrag 10.200 Euro) bei einem jährlichen Eigenanteil von 400 Euro. Einen nicht unerheblichen Anteil in Höhe von etwa 300 € monatlich macht ein Risikozuschlag aus. Im Jahr 2007 hat die Krankenkasse der Klägerin Versicherungsleistungen in Form von Krankheitskosten in Höhe von rund 63.558 Euro ausbezahlt. In den Vorjahren berücksichtigte der Beklagte beim Bedarf den vollen Beitrag zur privaten Krankenversicherung.
Die 1954 geborene Klägerin bezieht seit März 2003 Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz und nunmehr Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII in jeweils jährlichen Bewilligungsperioden. Am 07.05.2007 forderte die Beklagte die Klägerin unter Hinweis auf die Möglichkeit der Hilfe bei Krankheit nach § 48 SGB XII zur Kündigung der privaten Krankenversicherung auf.
Mit Bescheid vom 13.02.2008 erhielt die Klägerin für die Zeit vom 01.03.2008 bis einschließlich 28.02.2009 Leistungen der Grundsicherung nach den Vorschriften des SGB XII in Höhe von monatlich 477,71 Euro. Die Übernahme der Kosten für die private Krankenversicherung wurde - entgegen den bisherigen Bewilligungen - ausdrücklich abgelehnt. Die Gewährung von Hilfe nach § 48 SGB XII wurde zugesichert. Später akzeptiere die Beklagte durch teilweise Rücknahme ihrer Berufung die Verurteilung zu höheren Leistungen für die Zeit bis zum 31.12.2008.
Am 23.4.2008 erging ein neuer Bescheid, weil der Regelsatz auf 371 € stieg. Zum Juli 2008 wurde mit Bescheid vom 30.6.2008 der Regelsatz auf 375 erhöht. Weitere Bescheide ergingen am 31.07.2008 und 29.08.2008, zuletzt über die Zeit vom 01.11.2008 bis 28.02.2009.
Den von der Klägerin mit ...