Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufklärungspflicht der Krankenversicherungsträger vor Beendigung der freiwilligen Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung wegen Beitragsrückständen. Zugangsfiktion bei Ersatzzustellung
Leitsatz (redaktionell)
Vor der Beendigung der freiwilligen Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung wegen Beitragsrückständen bestand eine umfassende Aufklärungspflicht der Krankenversicherungsträger auch schon, bevor am 01.01.2004 das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung in Kraft getreten ist.
Normenkette
SGB V § 191 S. 1 Nr. 3 Fassung: 1997-06-23, § 191 Nr. 3; SGB I § 13; SGB XI § 20 Abs. 3; RVO § 315
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 25. Mai 2005 und der Bescheid der Beklagten vom 6. Januar 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16. März 2000 aufgehoben.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitgegenstand ist die Beendigung der freiwilligen Mitgliedschaft zum 15.01.2000.
Der Kläger, der schwerbehindert ist und Erwerbsunfähigkeitsrente bezieht, begründete am 24.07.1996 bei der Beklagten eine freiwillige Mitgliedschaft.
Mit Schreiben vom 17.12.1999 wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass der Beitrag für November 1999 ausstehe und alle Leistungsansprüche endeten, wenn die für zwei Monate fälligen Beiträge nicht gezahlt seien.
Mit Bescheid vom 06.01.2000 wies die Beklagte auf die ausstehende Forderung für die Zeit vom 01.11. bis 31.12.1999 hin und teilte mit, der Versicherungsschutz ende am 15.01.2000, wenn bis 15.01.2000 keine Gutschrift auf einem ihrer Konten erfolge. Mit dem Erlöschen der Mitgliedschaft endeten alle Leistungsansprüche für den Kläger selbst und seine mitversicherten Familienangehörigen. Dieses Schreiben ist laut Postzustellungsurkunde, unterschrieben von der Zustellerin T., am 07.01.2000 dem Kläger selbst unter der Adresse F.straße in S. zugestellt worden.
Am 28.01.2000 ging ein Schreiben des Bevollmächtigten des Klägers ein, worin dieser Widerspruch gegen die Kündigung zum 15.01.2000 einlegte. Es sei bekannt, dass der Kläger vor zwei Jahren bereits in der gleichen Situation gewesen sei und durch eine Kulanzentscheidung die freiwillige Mitgliedschaft wieder aufleben konnte. Die neuerliche Säumnis sei aus familiären Gründen verständlich. Am selben Tag habe der Kläger, der sich nach einem Schlaganfall in einem Reha-Verfahren befinde, eine Blitzüberweisung veranlasst. Die Beklagte wies den Widerspruch am 16.03.2000 mit der Begründung zurück, die Beendigung der Mitgliedschaft sei kraft Gesetzes am 15.01.2000 eingetreten. Ein Ausnahmetatbestand liege nicht vor.
Dagegen hat der Kläger Klage erhoben und vorgetragen, das erste Schreiben vom 17.12.1999 sei in der Zeit ergangen, als er sich vom 06.12. bis 21.12.1999 in stationärer akut-neurologischer Behandlung der Neurologischen Klinik Bad N. befunden habe. Vom 04.01. bis 29.02.2000 habe er sich erneut in dieser Klinik zur stationären Rehabilitation befunden. Er sei daher tatsächlich verhindert gewesen, die geforderten Beiträge zu entrichten. Mit Schreiben vom 19.07.2000 hat der Klägerbevollmächtigte ergänzt, der Kläger habe weder das Schreiben vom 17.12.1999 noch das vom 06.01.2000 in Empfang genommen. Erhalten habe er ein Schreiben der AOK vom Januar 2000 über eine Beitragserhöhung auf 313,02 DM, der er am 20.01.2000 nachgekommen sei.
Auf Anfrage des Gerichts hat die Deutsche Post AG am 29.10.2004 mitgeteilt, B. T. sei von Juni 1999 bis 28.02.2001 ohne Beanstandung zuständige Zustellerin gewesen. Auf weitere Veranlassung des Gerichts hat die Neurologische Klinik Bad N. eine Kopie der Krankenakte des Klägers übersandt und mitgeteilt, der Kläger sei vom 04. bis 10.01.2000 nicht beurlaubt gewesen, sei am 08.01. als nicht auf der Station anwesend vermerkt worden, habe aber erst nach vierwöchiger Therapie 250 m ohne Hilfsmittel bewältigen können; dass er trotzdem für Stunden das Klinikgelände verlassen habe, sei nicht auszuschließen.
In der mündlichen Verhandlung am 25.05.2005 ist B. T. als Zeugin einvernommen worden. Sie hat es merkwürdig gefunden, dass auf der Postzustellungsurkunde kein Empfängername eingetragen sei. Ihre Tätigkeit sei unbeanstandet gewesen. Sie sei sich sehr unsicher, ob die PZU tatsächlich von ihr ausgefüllt worden sei, da das Schriftbild ihrer Unterschrift nicht ganz typisch sei. Die Ehefrau des Klägers hat als Zeugin angegeben, während des Krankenhausaufenthaltes ihres Mannes sei ihrer Erinnerung nach kein Schriftstück der AOK Hessen eingegangen. Sie könne sich nicht daran erinnern, dass im Januar 2000 ein Postbote geklingelt und ein Schriftstück übergeben habe. Die im Februar 1985 geborene Tochter des Klägers, die ebenso wie der im November 1987 geborene Sohn C. unter derselben Anschrift wie der Kläger wohnhaft war, hat angegeben, selbst die Post geholt und geöffnet zu haben, ...