Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziale Pflegeversicherung. Überprüfungsverfahren über die Einstufung in einen Pflegegrad. Voraussetzungen des Pflegegrades 5. pflegerelevante Veränderungen
Leitsatz (amtlich)
1. Zu den Voraussetzungen des Pflegegrades 5 im Rahmen der einzelnen Module (Pflegebedürftigkeit).
2. Zu den pflegerelevanten Veränderungen.
Orientierungssatz
Jedenfalls dann, wenn sich die Pflegekasse nicht auf die Bindungswirkung des Ausgangsbescheides beruft, sondern im Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X die Richtigkeit dieses Bescheides vollständig überprüft, ist die Entscheidung auch im gerichtlichen Verfahren voll zu überprüfen.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 9. Juli 2020 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die vormalige Klägerin, die Mutter des Klägers und Berufungsklägers, begehrte von der Beklagten und Berufungsbeklagten im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens die Gewährung von Leistungen der Pflegeversicherung unter Zugrundelegung des Pflegegrades 5 statt 4 noch für den Zeitraum 02.01.2017 bis 30.09.2018. Sie ist 2020 verstorben.
Die 1935 geborene, bei der Beklagten gesetzlich Pflegeversicherte litt an einem Selbstversorgungsdefizit bei fortgeschrittener Demenz, Harn- und Stuhlinkontinenz, grauem Star an beiden Augen, Bewegungseinschränkung bei Osteoporose, Bluthochdruck, Diabetes mellitus Typ II und Altersabbau. Ab April 2012 erhielt sie von der Beklagten Leistungen angesichts erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz, ab April 2013 Leistungen nach der Pflegestufe II. Ein 2016 gestellter Höherstufungsantrag führte nach Einholung mehrerer Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) nicht zu einer Erhöhung der Pflegestufe (Bescheid vom 03.06.2016, Widerspruchsbescheid vom 06.04.2017). Ab 01.01.2017 bezog sie Leistungen nach dem Pflegegrad 4.
Der Sohn der Klägerin als Vorsorgebevollmächtigter stellte am 02.01.2017 einen Antrag auf Höherstufung nach Pflegegrad 5. Die Beklagte holte ein Gutachten des MDK nach Hausbesuch vom 01.03.2017 ein. Es bestünden ein Selbstversorgungsdefizit bei dementieller Entwicklung, eine Harninkontinenz sowie als weitere Diagnosen eine Stuhlinkontinenz und eine Bewegungseinschränkung bei Osteoporose/Altersabbau. Der Gutachter gelangte zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin seit 01.01.2017 Pflegegrad 4 bei 87,50 gewichteten Punkten vorlag (Modul 1 - Mobilität: 7,50 Punkte; Modul 2 - kognitive und kommunikative Fähigkeiten und Verhaltensweisen und psychische Problemlagen: 15,00 Punkte; Modul 4 - Selbstversorgung: 40,00 Punkte; Modul 5 - Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen: 10,00 Punkte; Modul 6 - Gestaltung des Arbeitslebens und sozialer Kontakte: 15,00 Punkte).
Daraufhin lehnte die Beklagte den Höherstufungsantrag mit Bescheid vom 09.03.2017 ab.
Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens holte die Beklagte eine Stellungnahme des MDK vom 02.05.2017 sowie ein weiteres Gutachten des MDK, erstellt nach Aktenlage, vom 29.05.2017 ein. Das Gutachten bestätigte die Feststellung von 87,50 gewichteten Punkte und Pflegegrad 4. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24.10.2017 zurück, da die Voraussetzungen des Pflegegrades 5 bei 87,50 gewichteten Gesamtpunkten weiterhin nicht erfüllt seien.
Die damalige Klägerin erhob am 30.10.2017 Klage zum Sozialgericht Augsburg (Az.: S 9 P 102/17). Das Sozialgericht holte ein Gutachten der Pflegesachverständigen G.K. vom 21.04.2018 ein; diese bestätigte das Vorliegen der Voraussetzungen lediglich nach Pflegegrad 4 bei 87,50 gewichteten Punkten (Modul 1: 7,50 gewichtete Punkte; Modul 2: 15,00 gewichtete Punkte; Modul 3: 0 gewichtete Punkte; Modul 4: 40,00 gewichtete Punkte; Modul 5: 10,00 gewichtete Punkte; Modul 6: 15,00 gewichtete Punkte). Als pflegebegründende Diagnosen nahm sie vor allem ein Selbstversorgungsdefizit bei fortgeschrittener Demenz, eine altersbedingte Schwäche mit Steh- und Gehunsicherheit sowie einen Bluthochdruck und Diabetes mellitus Typ II, medikamentös behandelt, an.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 16.05.2018 nahm der Bevollmächtigte der Klägerin die Klage zurück und stellte einen Antrag auf Überprüfung nach § 44 SGB X, um den vorgetragenen Sachverhalt auch für die Vergangenheit unter Berücksichtigung weiterer Unterlagen mit zu berücksichtigen.
Am 11.07.2018 wurde der Beklagten für die Klägerin ein ärztliches Attest des Hausarztes Dr. M. vom 26.06.2018 übersandt. In diesem wird ausgeführt, dass der bevollmächtigte Sohn der Klägerin an seiner Mutter zweimal täglich für 30 Minuten Übungen aus dem physiotherapeutischen Formenkreis durchführe, dreimal täglich den Blutzucker und einmal täglich den Blutdruck messe und die Ernährung der Klägerin diabetesgerecht umgestellt habe. Weiterhi...