Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Anerkennung eines Überfalls als Arbeitsunfall. Friedhofsgärtner. Ansprechen eines Bekannten. Angriff mit einem Messer. tatsächlicher und rechtlich wesentlicher Ursachenzusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit und Unfallereignis
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Überfall (Unfallereignis) aus dem persönlichen Bereich des Versicherten zurechenbaren Gründen, den der Versicherte während einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit erleidet, kann einen Arbeitsunfall darstellen.
2. Die Unfallkausalität ist gegeben, dh der Überfall ist objektiv und rechtlich wesentlich infolge der versicherten Tätigkeit eingetreten, wenn die unversicherten Ursachen (privates Tatmotiv) das Unfallgeschehen nach Ort, Zeitpunkt sowie Art und Weise des Überfalls nicht derart geprägt haben, dass sie die versicherte Ursache verdrängen.
3. In besonders gelagerten Einzelfällen können danach die Verhältnisse am Arbeitsplatz den Überfall erst ermöglichen bzw wesentlich begünstigen, so dass die versicherte Ursache zumindest eine wesentliche Mitursache des Überfalls darstellt.
4. Hier: Arbeitsunfall eines Beschäftigten eines Friedhofes, der von einem Friedhofsbesucher, mit dem er auch privat bekannt gewesen ist, aufgrund wahnhafter Vorstellungen dieses Besuchers angegriffen und verletzt worden ist.
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 20. Oktober 2016 sowie der Bescheid der Beklagten vom 9. Dezember 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. März 2016 aufgehoben und die Beigeladene verurteilt, das Ereignis vom 16. Juli 2015 als Arbeitsunfall des Klägers anzuerkennen.
II. Die Beigeladene hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten in vollem Umfang zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger und Berufungskläger begehrt von der Beklagten und Berufungsbeklagten die Anerkennung eines Ereignisses (tätlicher Angriff) vom 16. Juli 2015 als Arbeitsunfall im Sinne von § 8 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII).
Der 1955 geborene Kläger war ab 1. Januar 2015 im Rahmen eines Bundesfreiwilligendienstes als Dienstleistender für die G. (G.) A-Stadt (Körperschaft des öffentlichen Rechts) tätig. Er war dabei ständig auf dem Friedhof der G. in A-Stadt eingesetzt. Am Vormittag des 16. Juli 2015 arbeitete der Kläger auf diesem Friedhof. Dort sprach er gemeinsam mit einem Kollegen, dem Zeugen C., den späteren Täter I. G. (nachfolgend: Täter) an, der gerade dabei war, das Grab seiner Mutter zu pflegen. Der Kläger fragte den Täter, ob sie ihm in ihrer Tätigkeit als Gärtner behilflich sein könnten. Alle drei Personen kannten sich außerdem bereits seit mehreren Jahren privat. An diesem Vormittag reagierte der Täter auf die Nachfrage des Klägers mit verbalen Anschuldigungen. Nach einem kurzen Wortwechsel griff der Täter den Kläger mit einem Messer an und verletzte ihn durch eine Schnittwunde im Bereich der Brust.
Bei der Erstversorgung im Klinikum A-Stadt gab der Kläger an, mit einem Bekannten in Streit geraten zu sein, woraufhin dieser ein Messer gezogen und ihn verletzt habe. In der Unfallanzeige der G. vom 21. September 2015 wurde ausgeführt: "Der Mitarbeiter ... wurde während der Arbeitszeit und bei der Ausführung seiner Arbeitstätigkeit von einem Friedhofsbesucher tätlich angegriffen ... . Nach den jetzigen Erkenntnissen waren die Motive des Täters privater Natur. Der Täter ist nicht bei uns beschäftigt, somit steht der Vorfall nur bedingt im Zusammenhang mit der Arbeitstätigkeit ... . Wir gehen davon aus, dass kein Arbeitsunfall vorliegt."
Mit Bescheid vom 9. Dezember 2015 lehnte die Beklagte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls und die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aufgrund des Unfalles vom 16. Juli 2015 ab. Unfälle infolge von Überfällen stünden dann im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit, wenn die Tätigkeit aus der Betriebszugehörigkeit unmittelbar hervorgegangen sei und wenn nicht ein Tatmotiv aus dem persönlichen Bereich von Täter und Opfer zum Überfall geführt habe. Hier habe die Ursache für die Auseinandersetzung allein im privaten Bereich gelegen.
Hiergegen erhob der Bevollmächtigte des Klägers Widerspruch. Es liege ein Arbeitsunfall vor, da der Kläger die Körperverletzung in Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit erlitten habe. Ein irgendwie geartetes näheres privates Verhältnis zu dem Täter habe nicht vorgelegen und sei auch nicht erkennbare Ursache oder Motiv für den völlig unvermittelten Angriff gewesen. Bei dem Täter handele es sich zwar um einen entfernten Bekannten, eine engere Verbindung habe jedoch nicht bestanden. Vielmehr habe beim Täter offenbar eine psychische Störung vorgelegen. Letztendlich hätte der Angriff auch eine dritte Person treffen können. Ursächlich für den Angriff seien allein die psychische Störung des Täters gewesen sowie der Umstand, dass der Kläger auf dem Friedhof gearbeitet...