Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. tödlicher Arbeitsunfall. Betriebsweg. sachlicher Zusammenhang. Handlungstendenz. Betriebsinteresse. fragliche Suizidabsicht. möglicher Sekundenschlaf. Unfallkausalität. Vollbeweis. objektive Beweislast des Unfallversicherungsträgers. Verkehrsunfall. Beweiswürdigung
Leitsatz (amtlich)
1. Ist ungeklärt bzw unklärbar, ob der Tod auf einem Betriebsweg durch Selbsttötung geschehen oder verkehrsunfallbedingt eingetreten ist, trägt die Berufsgenossenschaft als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung die Beweislast dafür, dass ein Suizid vorgelegen hat.
2. Hinterbliebene sind nicht beweispflichtig dafür, dass der Versicherte nicht in Selbsttötungsabsicht gehandelt hat.
Normenkette
SGB VII § 8 Abs. 1, § 2 Abs. 1 Nr. 1; SGG § 103
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts München vom 29. Juli 2014 sowie der Bescheid vom 23. August 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2012 aufgehoben, und es wird festgestellt, dass es sich bei dem Ereignis vom 17. Januar 2012 um einen Arbeitsunfall des Ehemannes der Klägerin gehandelt hat.
II. Die Beklagte erstattet die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass es sich bei dem Verkehrsunfall ihres Ehegatten mit tödlichem Ausgang vom 17.01.2012 um einen versicherten Arbeitsunfall im Sinne von § 8 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) gehandelt hat.
Der 1948 geborene Ehegatte der Klägerin (nachfolgend Versicherter) war bei der Beklagten als selbständiger Finanzmakler freiwillig versichert, als er am 17.01.2012 gegen 15:12 Uhr auf der Kreisstraße M 3 von A-Stadt kommend in westliche Richtung fuhr. Nach den Ermittlungen der Verkehrspolizeiinspektion A-Stadt lenkte er in der Gemarkung U-Stadt (nach Querung der E-Straße südlich des F-Sees) trotz gerade verlaufender Fahrbahn nach links und stieß mit dem von Herrn P. gelenkten LKW (MAN) frontal zusammen. Dies wurde durch den unbeteiligten Zeugen T. beobachtet.
Der Unfallort, insbesondere der Fahrbahnrand, wurde nach Reifenspuren abgesucht. In Fahrtrichtung des Versicherten konnten weder auf der Fahrbahn Bremsspuren noch am rechten Straßenbankett Reifenspuren aufgefunden werden, welche Rückschlüsse auf die Unfallursache ergeben würden. Auch an den rechten Rädern des PKW Smart waren keinerlei Erdanhaftungen oder Ähnliches erkennbar. Zur Unfallzeit herrschte Tageslicht, die Sicht war uneingeschränkt frei. Während der Unfallaufnahme wurde die Klägerin im Rahmen der Angehörigenverständigung befragt. Sie gab an, ihr sei vor einigen Tagen aufgefallen, dass die Lenkung am PKW Smart nicht in Ordnung gewesen sei. Weiterhin gab sie an, dass ihr Ehegatte finanzielle Probleme habe, welche jedoch aus ihrer Sicht nicht existenzbedrohend wären. Aufgrund dessen wurde der PKW sichergestellt. Eine Inaugenscheinnahme der Betriebsbremse ergab, dass der PKW Smart offensichtlich vor dem Frontalzusammenstoß mit dem LKW des P. nicht abgebremst wurde. Ferner konnten keine Hinweise auf mechanische Defekte im Bereich der Lenkungsbauteile und des Lenkgetriebes festgestellt werden.
Der von P. gelenkte LKW (ein beladener Kieslaster) befand sich in einem technisch einwandfreien Zustand. Für ihn war der Zusammenstoß laut Gutachten der Firma G. räumlich unvermeidbar, obwohl dessen gefahrene Geschwindigkeit 66 km/h anstatt erlaubter 60 km/h betrug. Nach dem Schlussvermerk der Verkehrspolizeiinspektion A-Stadt ließ sich die Unfallursache weder auf einen technischen Mangel noch auf die Fahrweise des LKW-Fahrers zurückführen. Auch die Obduktion des Leichnams des Versicherten ergab keine Hinweise auf eine vorbestehende innere Erkrankung als auslösende Ursache für den Verkehrsunfall, so das Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der LMU A-Stadt vom 24.01.2012. Die angeordnete Blutalkoholbestimmung ergab einen Wert von 0,0 Promille. Der verstorbene Ehegatte der Klägerin war bei dem Unfall angegurtet und verstarb an den Folgen des schweren Polytraumas mit umfangreichen Skelett-, Organ- und Weichteilverletzungen.
Herr P. gab bei seiner Vernehmung am 08.02.2012 vor der Polizeiinspektion A-Stadt durch die Polizeihauptmeisterin (PHMin) M. an, dass der Versicherte mit beiden Händen in Richtung seines LKWs gelenkt und ihn dabei noch angesehen habe. Dies deutete aus Sicht der PHMin M. ausweislich des Schlussvermerks vom 12.06.2012 nicht auf einen Verkehrsunfall hin, sondern auf einen Suizid des Versicherten, da dieser auf gerader Strecke ohne zu bremsen mit relativ hoher Geschwindigkeit nach links lenkte und dabei einen frontalen Zusammenstoß mit einem 26 Tonnen schweren Fahrzeug herbeiführte. Der Grund für seinen Suizid dürften offensichtlich finanzielle Probleme gewesen sein. Ein Abschiedsbrief konnte im Fahrzeug, welches mit diversen beruflichen Unterlagen überhäuft war, nicht aufgefunden werden.
Die weiteren Ermittlungen der Bekla...