Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht: Regelung in den Gründen eines Bescheids

 

Leitsatz (amtlich)

1. Einem klaren Verfügungssatz in den Gründen eines Bescheids nur deshalb keinen Regelungscharakter zuzusprechen, weil er unter der Überschrift Begründung aufgeführt ist, hält der Senat bei Auslegung des Bescheids nach dem objektiven Empfängerhorizont vorliegend für nicht vertretbar.

2. Ist bereits keine wesentliche Änderung in den tatsächlichen gesundheitlichen Verhältnissen, wie sie dem letzten bestandskräftigen Bescheid zu Grunde gelegen haben, im Sinn des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X eingetreten, stellt sich die Frage nach der Höhe des GdB nicht mehr.

 

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 17. Juli 2013 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Klägerin infolge einer Verschlechterung ihres gesundheitlichen Zustands ein höherer Grad der Behinderung (GdB) als 70 gemäß § 69 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) zusteht und ob in ihrer Person die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) und RF (bis 31.12.2012 Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht, danach Ermäßigung auf ein Drittel) vorliegen.

Die Klägerin ist im Jahr 1963 geboren. Zuletzt war mit Bescheid des Beklagten vom 15.12.2008 ein GdB von 70 festgestellt worden. Dabei waren folgende Gesundheitsstörungen zu Grunde gelegt worden:

1. Seelische Krankheit, somatoforme Schmerzstörung (Einzel-GdB: 60)

2. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Funktionsbehinderung des Schultergelenks, Bandscheibenschäden (Einzel-GdB: 30)

3. Neurodermitis (Einzel-GdB: 30)

4. Bronchialasthma, chronische Nebenhöhlenentzündung (Einzel-GdB: 20)

5. Restless-legs-Syndrom (Einzel-GdB: 10).

Nach zwei erfolglosen Verschlimmerungsanträgen beantragte die Klägerin am 06.07.2012 erneut die Erhöhung des GdB und zudem die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen G und RF. Den Antrag begründete sie mit einer Verschlimmerung der chronischen somatoformen Schmerzstörung und der chronischen seelischen Störung, zudem mit dem Auftreten einer Persönlichkeitsstörung.

Nach Auswertung diverser medizinischer Unterlagen durch seinen versorgungsärztlichen Dienst lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 29.08.2012 ab.

Dagegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 05.09.2012 Widerspruch. Der anschließend um einen Befundbericht gebetene Facharzt für Anästhesiologie/Psychotherapie C. hat am 21.09.2012 angegeben, dass sich die Klägerin in einer stabilen Situation befinde und die Bewilligung von Erwerbsunfähigkeitsrente zu einer merklichen Entlastung geführt habe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 05.11.2012 wies der Beklagte den Widerspruch nach nochmaliger Befassung des versorgungsärztlichen Dienstes zurück.

Mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 05.12.2012 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) Augsburg mit dem Ziel eines GdB von mindestens 80 und der Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen G und RF erhoben. Den begehrten GdB von 80 haben die Bevollmächtigten damit begründet, dass für die seelische Störung in Form einer Persönlichkeitsstörung mit somatoformer Schmerzstörung wegen Verschlimmerung ein Einzel-GdB von 70 zu vergeben sei. Die Klägerin sei zudem nicht in der Lage, übliche Wegstrecken noch zu Fuß zurückzulegen. Wegen ihrer Leiden, insbesondere der Persönlichkeitsstörung, könne sie nicht an Zusammenkünften politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender oder wirtschaftlicher Art teilnehmen.

Das SG hat Befundberichte bei den behandelnden Ärzten der Klägerin eingeholt. Der Facharzt für Anästhesiologie/Psychotherapie C. hat am 01.02.2013 berichtet, dass sich der Befund im Zeitraum ab Januar 2012 stabil gezeigt habe. Wesentliche Verbesserungen würden den Zeitraum vor 2012 betreffen. Anschließend hat das SG ein nervenärztliches Gutachten in Auftrag gegeben.

Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. A. ist in seinem Gutachten vom 22.04.2013 zu dem Ergebnis gekommen, dass der Einzel-GdB für die seelische Störung der Klägerin samt somatoformer Schmerzstörung 50 und der Gesamt-GdB (knapp) 70 betrage. Eine Verschlechterung des Gesundheitszustands hat er nicht berichtet. Eine erhebliche Einschränkung des Gehvermögens - so der Sachverständige - liege bei der Klägerin nicht vor, ebenso nicht ein behinderungsbedingter allgemeiner und umfassender Ausschluss von üblichen öffentlichen Veranstaltungen.

Mit Gerichtsbescheid vom 17.07.2013 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat sich dabei im Ergebnis auf das Gutachten des Dr. A. gestützt, ist aber für die psychische Gesundheitsstörung, anders als der Sachverständige, der dafür einen GdB von 50 angenommen hatte, wie der Beklagte von einem GdB von (knapp) 60 ausgegangen.

Gegen den am 22.07.2013 zugestellten...

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