Entscheidungsstichwort (Thema)

Rente wegen voller Erwerbsminderung: Voraussetzungen für einen sog. Katalogfall. Anforderungen an die Prüfung

 

Leitsatz (amtlich)

Zu den Voraussetzungen einer Erwerbsminderungsrente.

 

Orientierungssatz

1. In bestimmten Ausnahmefällen kann eine Rentengewährung wegen voller Erwerbsminderung selbst dann erfolgen, wenn eine relevante quantitative Einschränkung des Leistungsvermögens an geeigneten Arbeitsplätzen nicht nachgewiesen ist. Dazu müssen die Voraussetzungen für einen sog. Katalogfall erfüllt sein.

2. Bei der Prüfung, ob ein Ausnahmefall vorliegt, ist zunächst festzustellen, ob mit dem Restleistungsvermögen Verrichtungen erfolgen können, die bei ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden. Wenn sich solche abstrakten Handlungsfelder nicht oder nur unzureichend beschreiben lassen und ernste Zweifel an der tatsächlichen Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen aufkommen, stellt sich im zweiten Schritt die Frage nach der besonderen spezifischen Leistungsbehinderung oder der Summierung ungewöhnlicher Einschränkungen und, falls eine solche Kategorie als vorliegend angesehen wird, ist im dritten Schritt eine Verweisungstätigkeit konkret zu benennen und die Einsatzfähigkeit dann hinsichtlich dieser Tätigkeit abzuklären (vgl. BSG, 09. Mai 2012, B 5 R 68/11 R).

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 06.06.2017; Aktenzeichen B 5 R 376/16 B)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 13.05.2014 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin einen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung hat.

Die 1972 geborene Klägerin ist thailändische Staatsangehörige. Sie ist im März 1993 nach Deutschland zugezogen und verfügt über einen unbefristeten Aufenthaltstitel in Form einer Niederlassungserlaubnis. In Thailand hatte die Klägerin den Beruf einer Näherin erlernt und in Deutschland war sie in der Zeit von August 1997 bis Oktober 2009 auch in diesem Beruf tätig. Zuletzt war sie bei der Firma A. GmbH in E-Stadt beschäftigt gewesen.

Auf einen Rentenantrag vom 02.08.2011 bewilligte die Beklagte - nach Auswertung eines vom Internisten Dr. R. am 12.05.2011 erstellten Gutachtens - der Klägerin mit Bescheid vom 09.08.2011 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zeitlich befristet bis Ende Juni 2013.

Am 08.03.2013 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Weiterzahlung der Rente wegen Erwerbsminderung über den Wegfallmonat hinaus. Die Beklagte holte daraufhin erneut ein ärztliches Gutachten bei Dr. R. ein, der die Klägerin am 12.04.2013 untersuchte und in seinem Gutachten die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen folgendermaßen beschrieb:

Zustand nach schwergradiger thrombotisch-thrombocytopenischer Purpura (TTP) mit Erstdiagnose 12/2009, Zustand nach Frührezidiv 3/2010, mehrfacher Plasmapherese und Transfusionsbedürftigkeit. Seit 2010 stabiler Verlauf ohne Anhalt für erneutes Rezidiv bei differenzialdiagnostisch systemischem Lupus erythematodes sowie bekanntem Morbus Basedow mit Zustand nach mehrfachen Rezidiven (Thiamazoltherapie und folgend geplant Radiojodtherapie) sowie reaktiver Depression.

Ein Rezidiv der hämatologischen Grunderkrankung bestehe nicht. Es habe sich eine deutliche Besserung der Gesamtsituation eingestellt. Aktuell stehe die mutmaßlich reaktiv bedingte Depression im Vordergrund, wobei eine entsprechende Behandlung jedoch nicht stattfinde. Eine zeitliche Einschränkung der Einsatzfähigkeit der Klägerin bestehe weder für den zuletzt ausgeübten Beruf der Näherin, noch für den allgemeinen Arbeitsmarkt. Vermieden werden sollten Tätigkeiten mit starkem Publikumsverkehr und in größeren Menschenansammlungen sowie sonstige Infektionsgefährdungen.

Diese sozialmedizinische Einschätzung wurde vom Prüfarzt der Beklagten geteilt und eine Weitergewährung der Erwerbsminderungsrente über das Ende der Zeitrente wurde als nicht begründet angesehen. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24.04.2013 die Weitergewährung der Rente über den Wegfallzeitpunkt hinaus ab.

Der Widerspruch der Klägerin vom 23.05.2013 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 11.07.2013 zurückgewiesen. Aus dem vorgelegten Bericht des Universitätsklinikums F-Stadt und der geltend gemachten reduzierten Ausdauer- und Leistungsfähigkeit nach Kortikosteroid-Therapie würden sich keine neuen sozialmedizinischen Einschätzungen ergeben. Auch sei die zuvor limitierte Gehstrecke jetzt nicht mehr eingeschränkt. Das Heben und Tragen von Lasten sei nach wie vor auf 5 kg zu beschränken.

Hiergegen hat die Klägerin mit Telefax-Schreiben am 02.08.2013 Klage zum Sozialgericht Würzburg erhoben. In einem Versicherungsverlauf vom 09.08.2013 sind im Anschluss an den Rentenbezug mit Zurechnungszeit bis zum 30.06.2013 keine neuen rentenrechtlichen Zeiten vermerkt. Das Sozialgericht hat einen Befundbericht der behandeln...

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