Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. haftungsbegründende Kausalität. Gelegenheitsursache. psychische Störung. leichter Verkehrsunfall. chronische Schmerzstörung im Sinne einer somatoformen Schmerzstörung. Unfallfolge. Minderung der Erwerbsfähigkeit
Leitsatz (amtlich)
Zur Anerkennung einer psychischen Störung als Unfallfolge ist eine exakte Diagnose der Krankheit nach einem der international anerkannten Diagnosesysteme (ICD-10; DSN IV) erforderlich. Weiterhin kann ein Kausalzusammenhang zwischen einem Arbeitsunfall und einer seelischen Krankheit nur bejaht werden, wenn nach dem aktuellen Erkenntnisstand ein Unfallereignis oder Unfallfolgen der in Rede stehenden Art allgemein geeignet sind, die betreffende Störung hervorzurufen.
Eine leichtgradige Halswirbelsäulen-Distorsion und Brustwirbelsäulenprellung bei dem frontalen Erfassen eines Rehs mit dem PKW ist regelmäßig nicht unfallursächlich für eine chronische Schmerzstörung im Sinne einer somatoformen Schmerzstörung (ICD-10 F 45.4).
Normenkette
SGB VIII § 8 Abs. 1
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 20.11.2009 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 18.08.2005 Heilbehandlung über den 26.01.2006 hinaus sowie die Bewilligung einer Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v.H.
Der 1970 geborene Kläger war als Fuhrunternehmer selbständig tätig, als er am 18.08.2005 gegen 3.30 Uhr nahe U. in Oberösterreich mit dem PKW ein Reh frontal erfasste. Bei dem Aufprall verspürte er einen stechenden Schmerz im Rücken. Unmittelbar danach bekam er nach seinen eigenen Angaben starke Kopf-, Nacken- und Rückenschmerzen sowie weitere Beschwerden wie Übelkeit und Schwindel.
Prof.Dr.K. (Klinikum T.) beschrieb mit Durchgangsarztbericht vom 19.08.2005 eine paravertebral langstreckig schmerzhafte Halswirbelsäule (HWS) und Brustwirbelsäule (BWS). Nach Röntgenuntersuchung wurde eine Fraktur ausgeschlossen und eine HWS-Distorsion diagnostiziert. Die Augenärzte Dres.D. und Koll. schlossen mit Augenarztbericht vom 24.08.2005 Gesichtsfeldausfälle aus und diagnostizierten eine Akkomodationsstörung und eine Commotio cerebri. Dr.H., Oberarzt am Klinikum T., beschrieb mit Verlaufsbericht vom 23.09.2005 eine schwere HWS-Distorision und BWS-Prellung mit protrahiertem Heilungsverlauf und Schmerzen. Die vorbestehenden minimalen Bandscheibenprotrusionen im unteren HWS-Bereich seien möglicherweise durch das Unfallereignis verstärkt worden. Die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit (AU) werde bis 30.09.2005 angesetzt. Eine MdE im rentenberechtigenden Grade werde wahrscheinlich nicht verbleiben.
Die Magnetresonanztomographie (MRT) der Radiologischen Gemeinschaftspraxis T. vom 22.09.2005 ergab eine leichte degenerative Diskopathie der unteren HWS und der mittleren bis unteren BWS, links mediolaterale Protrusion C5/6, leichte Einengung des Neuroforamens in dieser Höhe linksseitig, diskrete Uncovertebralarthrose, keinen Anhalt für eine posttraumatische Myelonläsion im Bereich der HWS und BWS. Prof.Dr.K. bestätigte dies aus unfallchirurgischer Sicht mit Arztbrief vom 13.10.2005. Wegen des protrahierten Heilverlaufs sei der Kläger voraussichtlich noch für weitere zwei Wochen arbeitsunfähig. Prof.Dr.B. (Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik M.) diagnostizierte mit Arztbrief vom 05.12.2005 eine HWS-Distorsion und BWS-Prellung infolge des Unfalles vom 18.08.2005 sowie unfallunabhängig eine Bandscheibenprotrusion C5/C6. Wegen anhaltender Beschwerden wurde eine BGSW-Maßnahme (Berufsgenossenschaftliche Stationäre Weiterbehandlung) ab 14.12.2005 mit dem Ziel veranlasst, die Arbeitsfähigkeit wieder herzustellen. Sollte nach Abschluss der Maßnahme keine Arbeitsfähigkeit erreicht werden, seien die Beschwerden danach als unfallunabhängig zu werten. Mit Abschlussbericht vom 31.01.2006 bestätigte Prof.Dr.B. das Fortbestehen der Schmerzsymptomatik, wertete diese als unfallunabhängig und teilte mit, es bestehe bei dem Kläger ab dem 27.01.2006 wieder Arbeitsfähigkeit.
Dr.L. kam mit fachneurologischem Zusammenhangsgutachten vom 05.05.2006 zu dem Ergebnis, bei dem Unfall sei es aus neurologischer Sicht zu einer leichtgradigen Beschleunigungsverletzung der HWS und BWS gekommen, welche passagäre Kribbelparästhesien in den Händen verursacht hätten. Diese seien innerhalb weniger Wochen abgeklungen. Vor dem Unfall habe eine Migräne ohne Aura bestanden. Sie sei durch den Unfall nicht wesentlich verschlimmert worden. Dr.F. führte mit fachorthopädischem Gutachten vom 14.06.2006 aus, der Kläger habe bei dem Unfallereignis vom 18.08.2005 eine Halswirbelsäulen- und Brustwirbelsäulenzerrung erlitten, die eine unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit bis 30.09.2005 verursacht habe. Das myofasciale Schmerzsyndrom im Bereich der Wirbelsäul...