Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende: Leistungsanspruch eines Studierenden. Auslegung eines Schreibens im Rahmen eines Rechtsstreits über die Aufhebung einer Leistungsbewilligung als neuer Leistungsantrag

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Auslegung eines Antrages, der in einem Zeitpunkt gestellt wird, für den bereits ein Bewilligungsbescheid vorliegt, der vom Jobcenter zurückgenommen worden ist.

2. Zum Leistungsausschluss eines Studenten, dessen Studium dem Grunde nach förderfähig ist.

 

Orientierungssatz

1. Das Betreiben eines Hochschulstudiums, das dem Grunde nach zum Bezug von Leistungen der Ausbildungsförderung berechtigt und damit zu einem Leistungsausschluss im System der Grundsicherungsleistungen führt, ist auch dann anzunehmen, wenn der Betroffenen immatrikuliert ist und zumindest Vorbereitungen auf eine Prüfung unternimmt, die seine Arbeitskraft binden. Der Besuch von Lehrveranstaltung ist dagegen für die Annahme eines Betreibens des Studiums nicht erforderlich.

2. Bei einem Studierenden, der aufgrund der allgemeinen Möglichkeit zum Bezug von Leistungen zur Ausbildungsförderung nicht zum Bezug von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende berechtigt ist, kommt auch eine darlehensweise Gewährung von Grundsicherungsleistungen regelmäßig nicht in Betracht.

3. Hat ein Empfänger von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende gegen die Aufhebung einer zuvor gewährten Leistungsbewilligung Rechtsmittel eingelegt, kommt die Auslegung eines weiteren Schreibens des Grundsicherungsempfängers, mit dem er die erneute Gewährung von Leistungen im genannten Leistungszeitraum fordert, als ein neuer Leistungsantrag nicht in Betracht. Demnach ist auch bei Bestandskraft der Aufhebungsentscheidung nicht erneut ein Leistungsanspruch für den maßgeblichen Zeitraum zu prüfen.

 

Normenkette

SGB II §§ 37, 41 Abs. 1 S. 4, § 7 Abs. 5 Sätze 1-2, Abs. 6 Nrn. 1-2; BGB § 133; BAFöG § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 6; BAföG § 2 Abs. 5, §§ 2a, 12 Abs. 1 S. 1 Nr. 1

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 12.04.2011 und der Bescheid des Beklagten vom 23.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2006 aufgehoben. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

II. Der Beklagte hat dem Kläger die Hälfte seiner außergerichtlichen Kosten für alle Rechtszüge zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Ablehnung der Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit ab 01.03.2006.

Der 1977 geborene Kläger studierte ab 01.10.2000 Betriebswirtschaftslehre an der Universität B-Stadt. Die Förderungshöchstdauer hinsichtlich der Gewährung von Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) endete zum 30.09.2004. Mit Bescheid vom 12.10.2004 lehnte das Studentenwerk O. die Leistung einer Ausbildungsförderung wegen des Fehlens eines Leistungsnachweises ab. Gegenüber dem Beklagten gab der Kläger an, sein Studium am 31.12.2004 ab- bzw. unterbrechen zu müssen. Daraufhin bewilligte der Beklagte dem Kläger Alg II ab 01.01.2005 (zuletzt mit Bescheid vom 02.12.2005 für die Zeit vom 01.01.2006 bis 30.06.2006). Nach einer Mitteilung der Universität B-Stadt, der Kläger sei dort ununterbrochen eingeschrieben gewesen, nahm der Beklagte mit Bescheid vom 06.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2006 die Bewilligung für die Zeit ab 01.01.2005 - und damit insb. auch für den vorliegend u.a. streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.03.2006 -bis 30.06.2006 zurück und forderte die Erstattung überzahlter Leistungen iHv insgesamt 8.860,18 €. Die dagegen erhobene Klage (S 15 AS 795/06) hat das Sozialgericht Bayreuth (SG) mit Gerichtsbescheid vom 12.04.2011 abgewiesen. Die anschließend erhobene Berufung (L 11 AS 401/11) hat der Senat mit Urteil vom 27.03.2013 zurückgewiesen. Der Kläger habe in der Zeit vom 01.01.2005 bis 30.06.2006 ein nach dem BAföG dem Grunde nach förderfähiges Studium betrieben und sei von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen gewesen. Die Bewilligungsbescheide seien rechtswidrig gewesen. Ein besonderer Härtefall, der zu einer darlehensweisen Leistungsgewährung hätte führen können, habe nicht vorgelegen. Da der Kläger zumindest in Folge grober Fahrlässigkeit nicht gewusst habe, dass er keinen Anspruch auf Alg II gehabt habe, habe der Beklagte die Leistungsbewilligung aufheben und die gewährten Leistungen zurückfordern können. Das Bundessozialgericht (BSG) hat eine diesbezüglich erhobene Nichtzulassungsbeschwerde (B 14 AS 36/13 BH) mit Beschluss vom 11.07.2013 als unzulässig verworfen.

Am 28.02.2006 bat der Kläger, das Alg II wie bisher auszuzahlen. In seinem Widerspruch (Schreiben vom 06.03.2006) gegen den Bescheid vom 06.03.2006 forderte er die unverzügliche Auszahlung der Leistungen. Mit Schreiben vom 09.03.2006 trug er unter dem Betreff u.a. "Neuantrag auf Leistungen nach dem SGB II" weiter vor. Unter dem Betreff "Hier: Wiede...

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