Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosenversicherung: Gewährung von Gründungszuschuss für die erste Phase der Existenzgründung. "Beendigung der Arbeitslosigkeit" als Tatbestandsmerkmal. Vermittlungsvorrang als ein Ermessensgesichtspunkt
Leitsatz (amtlich)
1. § 93 Abs. 1 SGB III weist mit der "Beendigung der Arbeitslosigkeit" ein echtes Tatbestandsmerkmal auf, das neben die in § 93 Abs. 2 SGB III enthaltenen tritt.
2. "Arbeitslosigkeit" in § 93 Abs. 1 SGB III ist im Sinn von § 138 SGB III zu interpretieren und nicht auf die bloße Beschäftigungslosigkeit zu beschränken; erforderlich ist demnach auch die subjektive Verfügbarkeit.
3. Für die "Beendigung der Arbeitslosigkeit" gilt gleichsam die Erleichterung, dass ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Beendigung der Arbeitslosigkeit und Aufnahme der selbständigen Tätigkeit genügt.
4. Beim Vermittlungsvorrang handelt es sich um einen Ermessensgesichtspunkt und nicht um eine Tatbestandsvoraussetzung.
5. Der Vermittlungsvorrang ist im Rahmen einer Gesamtabwägung zu beurteilen.
Tenor
I. Auf die Berufung wird das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 5. Mai 2014 aufgehoben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 8. April 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Juni 2013 verurteilt, über den Antrag des Klägers auf Gewährung von Gründungszuschuss unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Rechtsstreit betrifft die Gewährung von Gründungszuschuss für die so genannte erste Phase der Existenzgründung.
Der am 24.06.1981 geborene Kläger bestand im Februar 2001 die Gesellenprüfung für das Kaminkehrerhandwerk, dann im November 2005 die Meisterprüfung. Seit Beendigung seiner Lehre arbeitete er in drei Beschäftigungsverhältnissen als Kaminkehrer. Das letzte dauerte von April 2008 bis 25.01.2013. Von 01.02.2009 an übte er eine Nebentätigkeit beim Zentralverband deutscher Schornsteinfeger aus (7,5 Wochenstunden; monatliche Einkünfte 400 EUR). Vom 22.10. bis 27.10.2012 hatte der Kläger eine Weiterbildung "Existenzgründung im Schornsteinfegerhandwerk" mit einem Umfang von 54 Stunden absolviert.
Die letzte Beschäftigung des Klägers endete durch Arbeitgeberkündigung. Laut Kündigungsschreiben vom 29.12.2012 handelte es sich um eine betriebsbedingte Kündigung; nähere Gründe wurden nicht genannt. Am 28.01.2013 meldete sich der Kläger persönlich arbeitslos und arbeitsuchend. Im Anhörungsvordruck-Sperrzeit schrieb er, während der Kündigungsfrist habe er sich bei drei Betrieben vorgestellt und gedacht, er sei selbst in der Lage, einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Parallel habe er sich bei den Regierungen von Niederbayern und der Oberpfalz um einen Kehrbezirk beworben, um sich selbständig zu machen.
Unter dem Datum 24.01.2013 teilte die Regierung von Niederbayern dem Kläger einen Kehrbezirk als bevollmächtigten Bezirksschornsteinfeger zu.
Am 01.02.2013 kam es zu einem Erstgespräch des Klägers mit der Arbeitsvermittlung. In dem dazu gefertigten Vermerk steht, der Kläger habe gute Voraussetzungen für eine kurzfristige Integration als Schornsteinfegermeister. Eine Integration in den ersten Arbeitsmarkt sei ohne kostenintensive Hilfestellung innerhalb von sechs Monaten zu erwarten. Als gemeinsames Ziel sei festgelegt worden "Aufnahme Beschäftigung 1. Arbeitsmarkt überregional". Ein individueller Integrationsplan sei festgelegt und im Rahmen der Eingliederungsvereinbarung geregelt worden. Er, der Kläger, habe zwischenzeitlich drei Initiativbewerbungen getätigt und Absagen erhalten. Er habe ein Angebot der Regierung erhalten, einen Kehrbezirk zu übernehmen. Die Beklagte wertete das Gespräch mit dem Kläger am 01.02.2013 als Stellung eines Antrags auf Gründungszuschuss. In Bezug darauf und speziell zum Vermittlungsvorrang habe die Vermittlerin den Kläger darüber informiert, landesweit seien ausreichend Stellenangebote vorhanden. Der Kläger werde sich im Lauf der nächsten Woche entscheiden, ob er den Kehrbezirk in A-Stadt übernehmen werde. Am 07.02.2013 rief der Kläger bei der Vermittlerin an und teilte mit, er sei den Schritt in die Selbständigkeit gegangen und habe den Zuschlag auf den Kehrbezirk A-Stadt VI angenommen.
Unter dem Datum 13.02.2013 meldete der Kläger sein Gewerbe an, wobei er als Beginn der Tätigkeit den 04.02.2013 nannte.
Der Formblattantrag auf Gründungszuschuss ging am 01.03.2013 bei der Agentur für Arbeit C-Stadt ein. Darin steht, der Kläger werde am 04.02.2013 eine hauptberufliche selbständige Tätigkeit als Schornsteinfegermeister in A-Stadt aufnehmen. Zur im Antragsvordruck enthaltenen Frage, warum sein Lebensunterhalt nach der Existenzgründung nur durch den Gründungszuschuss gesichert werden könne, schrieb der Kläger, da er bislang noch keine Werbung für sein Gewerbe habe betreiben dürfen, würden zu Beginn der Existenzgründung hohe Marketing- und Werbekosten anfallen. Aus hoheitl...