Leitsatz (amtlich)
1. Es existiert keine Rechtsnorm, die einen Anspruch auf Kostenerstattung gegen die gesetzliche Krankenkasse für eine akute Blinddarmoperation in einer Privatklinik in der Türkei begründet.
2. Die Erstattung von Kosten für eine im nicht-EU-Ausland in Anspruch genommene privatärztliche Behandlung ist allenfalls in entsprechender Anwendung des Art. 15 DT-SVA als freiwillig gezahlte (Ermessens-)Leistung zu betrachten.
3. Für die Kostenerstattung von Sozialversicherungsleistungen ist bei grenzüberschreitenden Sachverhalten der Leitfaden "Leistungsaushilfe im Rahmen derEG-Verordnung 883/04 und nach Abkommensrecht" vom 15.08.2012 im Sinne einer ermessenslenkenden Verwaltungsvorschrift einschlägig.
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 12.03.2020 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Kostenübernahme für eine stationäre Krankenhausbehandlung in der Türkei.
Die 1994 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte Klägerin befand sich in der Zeit vom 02.09.2018 bis 03.09.2018 während eines Urlaubs in der Türkei in stationärer Behandlung in der Privatklinik B Hospital wegen einer akuten Blinddarmentzündung. Im Rahmen des Aufenthaltes entfernten die Mediziner der Privatklinik den Blinddarm der Klägerin operativ. Eine private Auslandsreisekrankenversicherung hatte die Klägerin nicht abgeschlossen.
Am 11.09.2018 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Kostenerstattung für ihre Behandlung in der Türkei. Dem Antrag fügte sie eine Rechnung der Privatklinik B Hospital vom 03.09.2018 in englischer Sprache iHv 3.500,01 € sowie ein ärztliches Attest der Allgemeinärztin K vom 11.09.2018 bei.
Die Beklagte fragte unter dem 20.09.2018 wegen der Kosten für Sachleistungen, die bei Inanspruchnahme der türkischen Anstalt für soziale Sicherung entstanden wären, bei der türkischen Verbindungsstelle Antalya Sosyal Güvenlik il Mürdürlügü mittels des Formblattes T/A26 an. Mit Schreiben vom 07.10.2018 teilte diese der Beklagten mit, der erstattungsfähige Betrag der Krankenhauskosten iHv 3.500,01 € belaufe sich auf 808,57 Türkische Lira (TL).
Mit Bescheid vom 02.01.2019 bewilligte die Beklagte die Kostenerstattung iHv 808,57 TL bzw. 130,50 €. Eine Kostenerstattung für die vorgelegten Rechnungen sei nur nach den Tarifen des ausländischen Sozialversicherungsträgers möglich. An dessen Entscheidung sei sie gebunden.
Deswegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 28.01.2019 Widerspruch. Sie bestritt, dass der ausländische Sozialversicherungsträger für die Not-OP am Blinddarm lediglich einen Betrag iHv umgerechnet 130,50 € aufzuwenden gehabt hätte. Aus den übersandten Unterlagen sei nicht herzuleiten, welche der in der detaillierten Rechnung des Krankenhauses einzeln aufgeführten Positionen der ausländische Sozialversicherungsträger übernehme bzw. nicht übernehme. Die Angabe eines reinen Pauschalbetrags sei nicht ausreichend. Im Übrigen seien nach dem Sozialversicherungsabkommen zwischen Deutschland und der Türkei die Kosten im Rahmen einer Notfallbehandlung zu übernehmen, die auch in Deutschland angefallen wären. Mithin sei zumindest ein Betrag iHv 2.900,- € zu erstatten (Schreiben vom 20.02.2019).
Die Beklagte erwiderte, mit der Türkei bestehe ein bilaterales Abkommen über soziale Sicherheit. Danach könnten die wegen des Gesundheitszustandes unverzüglich erforderlichen Sachleistungen (ärztliche Behandlung, Arznei usw) nach den in der Türkei geltenden Rechtsvorschriften in Anspruch genommen werden. Die Klägerin hätte mit einer Anspruchsbescheinigung für die Türkei (sog. Auslandskrankenschein) eine Vertragsbehandlung bei akuten Beschwerden in einem türkischen Vertragskrankenhaus in Anspruch nehmen können. Die Sachleistungen würden dann vom ausländischen Versicherungsträger so gewährt, als ob die Versicherung bei dem die Leistung gewährenden ausländischen Träger des anderen Staates bestünde. Komme die zwischenstaatlich vereinbarte Aushilfe eines ausländischen Versicherungsträgers nicht zustande (entweder habe die Versicherte keine Anspruchsbescheinigung vorgelegt oder ein Privat-Krankenhaus aufgesucht), würden die Kosten ersetzt, die bei ordnungsgemäßer Durchführung der Aushilfe entstanden wären, obwohl bilaterale Abkommen - wie auch das deutsch-türkische Abkommen über soziale Sicherheit - keine Kostenerstattungsregelungen enthielten. Aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung würde bis zu einer Grenze von 1.000,- € eine Erstattung nach deutschen Vertragsgrundsätzen geschuldet. Bei Rechnungsbeträgen über diese Grenze sei zwingend eine Anfrage betreffend der Erstattungssätze im Aufenthaltsstaat vorzunehmen. Die Zweigstelle in Antalya habe eine entsprechende Formularanfrage beantwortet.
Auf Betreiben der Klägerin hin (Schreiben vom 18.03.2019 und vom 23.05.2019), fragte die Beklagte unter dem 28.05.2019 nochmals bei der türkischen Verbindungsstelle wegen der Kosten für Sachleistung...