Entscheidungsstichwort (Thema)

Geschiedenenwitwenrente. Anspruchsvoraussetzungen. unterhaltsrechtliche Folgen eines vor dem 1.7.1977 ergangenen Scheidungsurteils. Durchbrechung der Rechtskraft

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zu den Voraussetzungen einer Witwenrente an einen vor dem 1.7.1977 geschiedenen Ehegatten.

2. Der frühere Ehegatte der Versicherten muss sich im Rahmen des § 243 SGB 6 an dem Ausspruch vor dem 1.7.1977 ergangenen Scheidungsurteil und seinen unterhaltsrechtlichen Folgen nach dem EheG auch dann festhalten lassen, wenn er die Möglichkeit gehabt hätte, eine für ihn unterhaltsrechtlich günstigere Scheidung wegen Verschuldens des Versicherten zu erreichen.

3. Von einer Durchbrechung der Rechtskraft eines Scheidungsurteils nach dem EheG aufgrund sittenwidriger Erschleichung kann nur ausnahmsweise und nur dann ausgegangen werden, wenn die Ausnutzung der formalen Rechtstellung mit dem Gerechtigkeitsgedanken schlechthin unvereinbar wäre; die objektive Unrichtigkeit des Titels und dessen Nutzung alleine reichen hierfür nicht aus.

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 07.08.2008 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Geschiedenenwitwerrente streitig.

Der 1939 geborene Kläger war Ehemann der am 09.03.1990 verstorbenen Versicherten E. A., geb. K.. Die Ehe wurde mit Urteil des Landgerichts H. vom 10.06.1970 (AZ: 14 R 10/70) geschieden. Das Urteil ist seit dem 04.08.1970 rechtskräftig. Im Urteilstenor wurde die Alleinschuld des Klägers festgestellt. Eine diesbezügliche Widerklage des Klägers war von diesem nicht weiterverfolgt worden. In der mündlichen Verhandlung am 10.06.1970 schlossen die Ehegatten einen Vergleich, in dem die Parteien u.a. auf gegenseitigen Unterhalt "auch für den Fall der Not" verzichteten. Das Sorgerecht für die 1963 geborene gemeinsame Tochter wurde entsprechend der vergleichsweisen Einigung der Ehefrau zugesprochen.

Am 19.02.2007 stellte der Kläger Antrag auf Gewährung einer Witwerrente, welchen die Beklagte mit Bescheid vom 16.05.2007 in Fassung des Widerspruchsbescheids vom 15.01.2008 zurückwies. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Voraussetzungen für die Gewährung von Witwerrente an den geschiedenen Ehegatten nach § 243 SGB VI seien nicht erfüllt, da bereits kein Unterhaltsanspruch des Klägers gegen seine Ehefrau bestanden habe. Im Scheidungsurteil sei die Alleinschuld des Klägers festegestellt worden. Zudem sei von den Parteien auf Unterhalt verzichtet worden.

Mit der beim Sozialgericht München erhobenen Klage vom 15.02.2008, bei Gericht eingegangen am 18.02.2008, wurde ausgeführt, entgegen dem Scheidungsurteil trage nicht der Kläger sondern dessen Ehefrau die Schuld am Scheitern der Ehe. Es sei zu mehreren handgreiflichen Übergriffen seitens der verstorbenen Ehefrau und ihres Vaters gekommen. Durch das Verhalten seiner Ehefrau sei die Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft unmöglich gewesen. Er habe die Alleinschuld nur auf Anraten des Rechtsanwaltes auf sich genommen. Auch seitens der gegnerischen Partei sei diesbezüglich Druck auf ihn ausgeübt worden. Die im Scheidungsurteil festgestellte Schuldzuweisung könne daher nicht zu einem Wegfall seines Unterhaltsanspruches führen, da das Urteil sittenwidrig herbeigeführt worden sei. Das Urteil beruhe auf wahrheitswidrigen Sachverhaltsschilderungen. Der Kläger habe dem Vorgehen nur zugestimmt, um eine streitige und langwierige Scheidung zu verhindern. Dies gehe auch aus einem Schreiben des gegnerischen Rechtsanwalts vom 27.02.1970 hervor. Auch der erklärte Unterhaltsverzicht stehe einem Anspruch auf Witwenrente nicht entgegen, da dieser unwirksam gewesen sei. Zum Zeitpunkt des Verzichtes habe mangels Unterhaltsbedürftigkeit kein Unterhaltsanspruch bestanden. Beide Ehegatten seien davon ausgegangen, dass kein Anspruch bis zum Tod eines Ehegatten entstehen werde. Der Unterhaltsverzicht stelle deshalb eine "leere Hülse" dar und sei damit unbeachtlich. Auch seien die Voraussetzungen des § 779 Abs. 1 BGB nicht erfüllt, da kein Fall des gegenseitigen Nachgebens bestanden habe. Durch den Vergleich sei ein ungerechtes Missverhältnis entstanden, indem der Kläger auf einen an sich begründeten Unterhaltsanspruch verzichtet habe, wohingegen die Ehefrau auf nichts verzichtet habe, da sie aufgrund der überwiegenden Schuld am Scheitern der Ehe ohnehin keinen Unterhaltsanspruch gehabt habe.

Mit Urteil vom 07.08.2008 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass ein Rentenanspruch des Klägers jedenfalls daran scheitere, dass kein Unterhaltsanspruch gegen seine geschiedene Ehefrau bestanden habe. Der Kläger habe selbst im Widerspruchs- und Klageverfahren vorgetragen, dass er keinen Unterhaltsanspruch gegen seine Ehefrau gehabt habe, auch nicht zum Zeitpunkt des Todes der Versicherten. Im Übrigen sei die Versicherte im letzten Jahr vor ih...

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