Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Kostenersatz durch Erben. Kostenersatzbescheid. Ersatzpflicht des Erben. Gesamtrechtsnachfolge. Miterben. Gesamtschuldner. Rechtmäßig gewährte Sozialhilfe. Behinderter Leistungsempfänger. Eingliederungshilfe. Härtefall. Sonderopfer. Postmortales Schonvermögen. Besondere Härte. Reine Anfechtungsklage. Bestimmtheit eines Verwaltungsakts. Bestimmtheitsanforderungen an Kostenersatzbescheid. Freibetrag. Nachranggrundsatz der Sozialhilfe. Verwirkung. Sozialrechtlicher Herstellungsanspruch. Beratungspflicht
Leitsatz (amtlich)
1. § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII begründet kein "postmortales Schonvermögen" zugunsten des Erben zum Härtefall nach § 102 Abs. 3 Nr. 3 SGB XII
2. Zu den Bestimmtheitsanforderungen an einen Kostenersatzbescheid (Hinweis auf Urteil des BSG vom 23.03.2010 Az.: BSG B 8 SO 2/09 R)
3. Die Rechtmäßigkeit der Leistungen der Sozialhilfe ist ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 102 SGB XII
4. Der Kostenerstattungsanspruch nach § 102 SGB XII ist auf den Nachlass beschränkt und verlangt vom Erben keine darüber hinausgehenden finanziellen Sonderopfer.
5. Die Annahme einer besonderen Härte nach § 102 SGB XII verlangt einen besonderen Lebenssachverhalt, der von der zugrunde liegenden Typik des § 102 Abs. 3 SGB XII ansonsten nicht abgebildet wird.
6. § 102 SGB XII geht grundsätzlich von einer Ersatzpflicht des Erben aus und betrifft vielfach gerade Fälle, in denen vor dem Ableben des Erblassers eine Privilegierung von Vermögen nach § 90 Abs. 2 und Abs. 3 SGB XII bestanden hat.
7. Eine besondere Härte nach § 102 SGB XII ergibt sich nicht daraus, dass es sich bei dem ererbten Grundbesitz um Miteigentum an der Wohnung handelt, die ein Erbe mit seinem Ehegatten bewohnt hat und nach seinem Tod weiterhin bewohnt, selbst wenn dies zum Verlust eines früheren Familienheimes führen
Normenkette
SGB XII § 90 Abs. 2 Nr. 8, § 102 Abs. 3 Nrn. 1-4, § 90 Abs. 2-3, §§ 91, 85 Abs. 1 Nr. 1, §§ 54-55, 75 Abs. 3, § 76; SGB X § 33 Abs. 1, §§ 35, 41-42; BSHG §§ 92c, 92 Abs. 2, § 43 Abs. 2, §§ 39-40, 88 Abs. 2 Nr. 7, §§ 100, 90 Abs. 2 Nr. 8; BGB §§ 2058, 421 S. 1; SGG § 54 Abs. 1, 2 S. 1, § 153 Abs. 1, §§ 95, 197a Abs. 1, § 183; VwGO § 154 Abs. 2
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 19. März 2009 wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Inanspruchnahme der Klägerin als Erbin für einen Kostenersatz nach § 102 SGB XII für die ihrem verstorbenen Ehemann gewährte Sozialhilfe.
Der 1947 geborene Ehemann der ebenfalls 1947 geborenen Klägerin litt an einem hirnorganischen Psychosyndrom bei metachromatischer Leukodystrophie. Der Beklagte gewährte ihm mit Bescheid vom 01.07.2003 Eingliederungshilfe, indem er die Kosten eines Arbeitsplatzes in den L. Werkstätten - Betrieb K. - ohne die Anrechnung von Einkommen und Vermögen - mit Ausnahme der Kosten des Mittagessens -übernahm. Mit weiterem Bescheid vom 12.01.2005 hob der Beklagte den Bescheid vom 01.07.2003 mit Wirkung zum 01.01.2005 auf und gewährte ab diesem Zeitpunkt Eingliederungshilfe, indem er die Kosten der Förderstätte für behinderte Menschen K. in Höhe von kalendertäglich 44,33 € und entsprechende Fahrtkosten übernahm. Tatsächlich hatte der Ehemann der Klägerin bereits zum 01.09.2004 in die Förderstätte gewechselt, wobei der Beklagte mit Schreiben vom 03.08.2004 seine Kostenübernahme erklärte.
2006 verstarb der Ehemann der Klägerin. Ausweislich des vom Amtsgericht K. ausgestellten Erbscheins vom 23.05.2006 wurde der Verstorbene von der Klägerin zu 1/2 und von den Töchtern D. J. und K. A. zu je 1/4 beerbt. Nach den Ermittlungen des Nachlassgerichts belief sich die Summe der Nachlasswerte auf 159.045,83 €, wovon 124.840,83 € auf den hälftigen Anteil des Ehemannes an der gemeinsam mit der Klägerin erworbenen Eigentumswohnung entfielen. Dieser Grundbesitz war in Abteilung II und III des Grundbuchs unbelastet.
Nach Abschluss der Ermittlungen beim Nachlassgericht und beim Finanzamt E. bat der Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 20.10.2006 um Mitteilung der genauen Höhe des Nachlasses. Die Klägerin machte mit Schreiben vom 17.01.2007 Angaben zu dem Wert des Nachlasses und den Beerdigungskosten. Der Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 23.01.2007 mit, dass sich die Sozialhilfeaufwendungen für den Verstorbenen auf insgesamt auf 37.815,21 € beliefen. Im darauf folgenden Schriftwechsel führte die Bevollmächtigte der Klägerin aus, dass die Inanspruchnahme der Klägerin eine besondere Härte bedeuten würde, weil die Klägerin das seit Anfang der 70 er Jahre bewohnte Familienheim veräußern müsste, weil anderweitiges liquides Vermögen nicht bestehe. Auch habe der Beklagte bei der Leistungsbewilligung an den Verstorbenen nicht darauf hingewiesen, dass eine spätere Inanspruchnahme der Erben in Betracht käme. Aus der Leistungsbewilligung ohne Anrechnung von Einkommen und Vermögen ha...