Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Lese- und Rechtschreibschwäche. keine Krankheit bei Nichterforderlichkeit von ärztlicher Behandlung. keine Erweiterung des Leistungsumfangs nach dem SGB 5 durch das SGB 9
Orientierungssatz
1. Ist bei einer vorhandenen Lese- und Rechtschreibschwäche eine ärztliche Behandlung nicht erforderlich, sind die vorhandenen Anomalien nicht als Krankheit iS der gesetzlichen Krankenversicherung zu werten.
2. Der Leistungsumfang des für eine Krankenkasse gültigen SGB 5 wird durch die Normen des SGB 9 nicht erweitert (vgl auch BSG vom 26.3.2003 - B 3 KR 23/02 R = BSGE 91, 60, 63 = SozR 4-2500 § 33 Nr 3).
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 10. November 2004 wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beigeladene gegen die Beklagte einen Anspruch auf Behandlung von Legastheniefolgen hat und der Kläger daraus einen Erstattungsanspruch herleiten kann.
Die 1993 geborene Beigeladene beendete das Schuljahr 2002/03 erfolgreich mit den Zeugnisnoten zwischen befriedigend und sehr gut. Ferner heißt es in der Kopfnote: "J. war eine durchwegs froh und heiter gestimmte Schülerin, die ein lobenswertes Betragen an den Tag legte. Sie beteiligte sich größtenteils aufmerksam am Unterricht und arbeitete fleißig und gewissenhaft. Leistungen im Lesen und Rechtschreiben wurden aufgrund einer festgestellten Legasthenie nicht bewertet. ..." Um diese Schwächen zu therapieren - ein schulinterner Förderkurs war erfolglos geblieben -, beantragten die Eltern beim Kläger entsprechende Eingliederungshilfe. Der Kinder- und Jugendpsychiater Dr. med. S. diagnostizierte aufgrund einer Untersuchung am 02.10.2003 emotionale Störungen des Kindes- und Jugendalters, durchschnittliche Intelligenz, Legasthenie. Diese hatte er schon am 19.09.2002 gegenüber dem Schulpsychologischen Dienst festgestellt.
Unter Hinweis auf die Vorrangigkeit der Leistungspflicht der Krankenkasse lehnte der Kläger mit Bescheid vom 06.11.2003 die beantragte Eingliederungshilfe vorläufig ab und forderte die Beigeladene auf, sich bei ihrer Krankenkasse um die Förderung zu bemühen.
Diese zu bezahlen, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24.11. 2003 unter Bezug auf die entsprechenden Richtlinien ab. Daraufhin bewilligte der Kläger im Bescheid vom 01.12.2003 die Übernahme der Therapiekosten für zunächst 30 Sitzungen zu 43,46 EUR Honorar pro Stunde und erhob als Prozessstandschafter im eigenen Namen ab 01.12.2003 Widerspruch gegen die Ablehnung der Beklagten. Verknüpft war der Rechtsbehelf mit der Geltendmachung eines Erstattungsanspruches.
In dem an den Kläger adressierten, zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 10.02.2004 hielt die Beklagte an ihrer Auffassung fest, dass aufgrund der Heilmittelrichtlinien, an deren rechtlichen Maßgeblichkeit nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht zu zweifeln sei, eine Versorgung zur Bekämpfung der Legasthenie nicht infrage komme. In dem Zwischenzeugnis 2003, 2004 wird die Beigeladene als freundliche und zugängliche Schülerin geschildert, die mit Freude am schulischen Leben teilnimmt bzw. wird ihre freundliche und höfliche Art beschrieben, durch die sie auch von Mitschülern akzeptiert werde. Noch im Dezember 2003 nahm J. die Therapie am Lehrinstitut für Orthographie und Schreibtechnik/LOS in R. auf und setzte sie bis in den Herbst 2004 fort.
Inzwischen hatte der Kläger am 16.02.2004 beim Sozialgericht Regensburg Klage auf Verpflichtung der Beklagten erhoben, ihm die Legastheniebehandlungskosten zu erstatten und sich dabei auf das Gutachten Dr. S. vom 02.10.2003 bezogen. Der Bescheid gegenüber der Versicherten (Beigeladene) wurde in der Klageschrift nicht erwähnt. Auf Nachfrage führte der Gemeinsame Bundesausschuss dem Sozialgericht gegenüber mit Schreiben vom 20.08.2004 aus, dass für die Legasthenie (= Lese- und Rechtschreibschwäche = LRS) keine Therapie nach den Heilmittelrichtlinien verordnungsfähig ist und derzeit auch keine Überlegungen angestellt würden, dies zu ändern.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 10.11.2004 die lediglich auf Erstattung der angefallenen, nur grob bezifferten Kosten gerichtete Klage abgewiesen. Dazu hat es ausgeführt, dass es dahingestellt bleiben könne, ob die von Dr. S. angenommene drohende psychische Behinderung als Krankheitszustand gewertet werden könne, die durchgeführten Maßnahmen jedenfalls zählten nicht zu den von der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringenden Leistungen. Das ergebe sich einmal aus den Heil- und Hilfsmittelrichtlinien und zum anderen, weil es sich um Maßnahmen der Jugendhilfe handele, die nicht mittels des neuen Rehabilitationsrechts in die Zuständigkeit der Krankenversicherung verlagert werden dürften.
Hiergegen hat der Kläger die vom Sozialgericht zugelassene Berufung am 22.12.2004 eingelegt und verlangt weiterhin die Erstattung der "angefallenen Kosten der Legastheniebehan...