Entscheidungsstichwort (Thema)
Europäisches Sozialrecht: Anspruch eines privat krankenversicherten österreichischen Staatsbürgers und Mehrfachrentners mit Wohnsitz in Deutschland auf Sachleistungsaushilfe zu Lasten einer österreichischen Gebietskrankenkasse
Leitsatz (amtlich)
1. Der Umstand, dass im Rahmen der PKV grundsätzlich das Kostenerstattungsprinzip gilt, steht der Annahme, dass der (nur) privat krankenversicherte Kläger in Deutschland einen Anspruch auf Sachleistungen im Sinne der VO (EG) 883/2004 hat, nicht entgegen.
2. Die PKV ist seit dem 1. Januar 2009 zumindest insoweit als ein Zweig sozialer Sicherheit im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. A der VO (EG) 883/2004 anzusehen, als mit privaten Krankenversicherungsunternehmen abgeschlossene Krankenversicherungsverträge auch den Basiskrankenversicherungsschutz mit abdecken. Der Kläger hat damit grundsätzlich einen Anspruch auf Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats.
3. Zur Anwendung des Art. 56 und Art. 23 VO (EG) 883/2004.
Orientierungssatz
1. Erhält ein Mehrfachrentner eine Rente nach den Rechtsvorschriften des Wohnstaates Deutschland und eine Rente nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates (Österreich) und hat er überdies einen Sachleistungsanspruch nach den Rechtsvorschriften des Wohnstaates Deutschland, so hat dies nach Art. 23 VO (EG) 883/2004 zur Folge, dass er keinen Sachleistungsanspruch nach österreichischem Recht hat. Der zuständige Träger im Wohnmitgliedstaat Deutschland ist vielmehr kollisionsrechtlich ausschließlich (endgültig) leistungszuständig und kostentragungspflichtig.
2. Art. 5 b) VO (EG) 883/2004 erstreckt das Gleichstellungsgebot auf alle Sachverhalte und Ereignisse, deren Erfüllung von Normen des inländischen Sozialrechts vorausgesetzt werden. Ist streitig, ob ein privat krankenversicherter österreichischen Staatsbürger und Mehrfachrentner mit Wohnsitz in Deutschland nach den kollisionsrechtlichen Bestimmungen Anspruch auf Sachleistungsaushilfe zu Lasten eines österreichischen Trägers hat, ist der Anwendungsbereich der Vorschrift nicht eröffnet.
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 22.01.2015 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 05.09.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.02.2014 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten des Klägers sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten Sachleistungsaushilfe zu Lasten der C. in Österreich.
Der im Januar 1946 geborene Kläger ist österreichischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Deutschland. Seit dem 01.02.2011 bezieht er eine Rente der DRV Bayern Süd. Ebenfalls seit dem 01.02.2011 erhält er eine Pension der Pensionsversicherungsanstalt Landesstelle W-Stadt.
Der Kläger war von 1966 bis 1978 bei der beklagten Krankenkasse gesetzlich versichert und ist seit März 1980 bei der B. privat versichert. Auf seinen Antrag erhält er von der DRV Bayern Süd einen Zuschuss zur privaten Krankenversicherung.
Mit Schreiben vom 22.03.2011 teilte die Pensionsversicherungsanstalt Landesstelle W-Stadt dem Kläger mit, dass aufgrund der Bestimmungen der EWG-Verordnung für den Kläger grundsätzlich Versicherungspflicht in der österreichischen Krankenversicherung bestehe. Die benötigten Sachleistungen (ärztliche Hilfe etc.) würden aushilfsweise vom zuständigen Krankenversicherungsträger des Wohnortstaates erbracht. Der Kläger möge das beiliegende Formblatt E 121-AT ("Bescheinigung über die Eintragung der Rentenberechtigten und ihrer Familienmitglieder und die Führung der Verzeichnisse") dem in Betracht kommenden Krankenversicherungsträger seines Wohnortstaates vorlegen. In Teil A dieses Formblatts war von der C. am 04.04.2011 bescheinigt worden, dass der Kläger ab dem 01.02.2011 Anspruch auf Sachleistungen bei Krankheit habe. Die vom Wohnortstaat zu gewährenden Leistungen gingen ab dem 01.02.2011 zu Lasten der C..
Am 28.04.2011 reichte der Kläger das Formblatt E 121-AT bei der Beklagten ein. Diese vermerkte am 02.09.2011 in dem von ihr auszufüllenden Teil B des Formblatts, dass eventuell eine deutsche Vorrangversicherung bestehe.
Mit Bescheid vom 05.09.2011 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie ihn aufgrund des vorgelegten Formulars E 121-AT der C. nur betreuen könne, wenn keine deutsche Vorrangversicherung bestehe. Der Kläger erfülle nicht die Voraussetzungen für die Krankenversicherung der Rentner (KVdR). Für die Prüfung, ob eine Auffangversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - SGB V - möglich ist, sei die letzte deutsche Krankenversicherung zuständig, im Falle des Klägers also die B.. Bei Nichtzustandekommen der Versicherung möge der Kläger das Ablehnungsschreiben der B. übersenden. In diesem Falle könne eine Betreuung über das Formblatt E 121 aus Österreich durchgeführt werden.
Ab Oktober 2011 behielt die Pensionsversicherungsanstalt W-Stadt erstmals einen Krankenversicherungsbeitrag in Höhe von 5,1 % (19,40 €) von d...