Entscheidungsstichwort (Thema)
Elterngeld: Leistungsanspruch für Personal ausländischer Konsulate in Deutschland
Leitsatz (amtlich)
1. Art. 48 Abs. 1 WÜK ordnet für Mitglieder ausländischer konsularischer Vertretungen eine Befreiung von den in Deutschland geltenden Vorschriften über soziale Sicherheit an.
2. Art. 71 WÜK relativiert für in Deutschland ansässige Mitglieder ausländischer konsularischer Vertretungen diese Befreiung sehr weitgehend.
3. Das BSG-Urteil vom 29. Januar 2002, B 10/14 EG 1/00 R, ist nicht geeignet, für die Frage, ob Mitglieder ausländischer konsularischer Vertretungen einen Elterngeldanspruch haben, etwas zur Lösung beizutragen.
Tenor
I. Auf die Berufung wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 25. August 2017 aufgehoben und der Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 8. Januar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Juli 2016 verurteilt, der Klägerin Elterngeld für die Lebensmonate eins bis zwölf ihres Sohns I. A. zu gewähren.
II. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Rechtsstreit betrifft das Begehren der Klägerin, für Betreuung und Erziehung ihres Sohns Elterngeld nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) zu erhalten.
Die 1980 geborene Klägerin ist türkische Staatsangehörige und Mutter des am 24.10.2015 geborenen Kindes I. A.. Sie lebt seit ihrer Geburt in Deutschland und ist im Besitz einer unbefristeten ausländerrechtlichen Niederlassungserlaubnis. Vor I.s Geburt arbeitete sie als abhängig Beschäftigte beim Türkischen Generalkonsulat in B-Stadt. Sie wurde dort als so genannte Ortskraft eingesetzt. Diese Tätigkeit hatte sie zum 01.04.2011 begonnen. Zur Einkommensteuer wurde die Klägerin in Deutschland veranlagt. Demgemäß führte man Lohnsteuer an den deutschen Fiskus ab. Sozialversichert war die Klägerin allerdings in der Türkei.
Am 13.11.2015 beantragte die Klägerin die Bewilligung von Elterngeld für Betreuung und Erziehung von I.. Der Antrag bezog sich auf den ersten bis zwölften Lebensmonat des Kindes. Während des sich aus dem Antrag ergebenden Bezugszeitraums war sie mit dem Vater des Kindes verheiratet und lebte mit diesem sowie I. in einem Haushalt zusammen. Neben I. gehörte dem Haushalt damals auch die am 04.01.2004 geborene Tochter N. A. an. Während der angestrebten Elterngeldbezugszeit ging die Klägerin keiner Erwerbstätigkeit nach.
Das Türkische Generalkonsulat bestätigte unter dem Datum 29.12.2015, Lohn werde acht Wochen vor und nach dem als voraussichtlich angegebenen Entbindungstermin (bei der Klägerin der 18.10.2015) bezahlt. Die Klägerin habe nach türkischem Recht keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung während einer Elternzeit. Daher habe sie ein Jahr unbezahlte Erziehungszeit beansprucht.
Der Beklagte lehnte den Elterngeldantrag mit Bescheid vom 08.01.2016 ab. Er begründete dies damit, Mitglieder und Beschäftigte diplomatischer Missionen und konsularischer Vertretungen seien nach Art. 33 Abs. 1, Art. 37 Abs. 1 und 2 des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen bzw. Art. 48 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen (im Folgenden WÜK) von der Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit und damit auch von der Anwendung des BEEG ausgeschlossen. Der Ausschluss der Anwendbarkeit des BEEG gelte nicht, wenn eine Tätigkeit als Arbeitnehmer ausgeübt werde, die der Versicherungspflicht nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) unterliege. Nach europäischem Recht hätten Mitglieder des Geschäftspersonals der diplomatischen Vertretungen und konsularischen Dienststellen eines EWR-Staats als Staatsangehörige des Entsendestaats gegebenenfalls ein Wahlrecht, ob sie dem System der sozialen Sicherheit im Beschäftigungsland oder in Deutschland unterliegen wollten. Die Klägerin habe dieses Wahlrecht nicht genutzt, so dass sie weiterhin dem System der sozialen Sicherheit im Beschäftigungsland unterliege und kein Anspruch auf Elterngeld bestehe.
Dagegen legte die Klägerin am 20.01.2016 Widerspruch ein. Sie verwies auf eine Auskunft, die sie vom Bürgerservice des Auswärtigen Amts erhalten hatte. In einer E-Mail vom 21.01.2016 schrieb der Bürgerservice des Auswärtigen Amts, ausweislich der vorliegenden Unterlagen sei die Klägerin als örtlich eingestellte Mitarbeiterin beschäftigt. In dieser Funktion unterliege sie - ungeachtet eventuell bestehender bilateraler Sozialversicherungsabkommen - in der Bundesrepublik Deutschland der Einkommensteuer- und Sozialversicherungspflicht. Als örtlich eingestellte Mitarbeiterin würde die Klägerin in der Bundesrepublik Deutschland keine Vorrechte oder Immunitäten nach dem WÜK genießen. Sie unterliege voll der deutschen Gerichtsbarkeit.
Unter dem Datum 27.04.2016 teilte das Türkische Generalkonsulat dem Beklagten mit, die Klägerin sei beitragspflichtig in der Sozialversicherung; die Beiträge würden in der Türkei bezahlt. Eine ergänzende telefonische Nachfrage erbracht...