Orientierungssatz

Parallelentscheidung zu dem Urteil des LSG München vom 24.3.2005 - L 9 EG 56/04, das vollständig dokumentiert ist.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 02.02.2006; Aktenzeichen B 10 EG 7/05 R)

BSG (Urteil vom 02.02.2006; Aktenzeichen B 10 EG 9/05 R)

 

Tenor

I. Die Berufung des Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 12.01.2005 wird zurückgewiesen.

II. Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des zweiten Rechtszuges zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch der Klägerin auf Landeserziehungsgeld (LErzg) für den 25. mit 36. Lebensmonat (02.01.2000 mit 01.01.2001) ihres Sohnes C. (C.) streitig.

I. Die 1958 geborene Klägerin, eine verheiratete türkische Staatsangehörige, welche seit 27.02.1992 im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung ist und seit 1980 ihren Aufenthalt in Bayern hat, ist die Mutter des am 02.01.1998 in München geborenen C. Sie lebte seither mit diesem, zwei weiteren Kindern und ihrem Ehemann in einem gemeinsamen Haushalt, betreute und erzog C. und übte daneben eine Erwerbstätigkeit mit acht Stunden wöchentlich aus. Sie war bei der AOK Bayern familienversichert. Durch Bescheide des Amts für Versorgung und Familienförderung München II vom 06.04.1998 und 01.02.1999 wurde ihr Bundeserziehungsgeld (BErzg) gewährt, zuletzt für das zweite Lebensjahr des Kindes in Höhe von 450,00 DM monatlich (02.01.1999 mit 01.01.2000).

Die vom Beklagten den in Frage kommenden Eltern u.a. bereits bei der Geburt eines Kindes zur Verfügung gestellten Antragsgebinde für BErzg, LErzg und Familienbeihilfe (Stand 2/97, 2/98, 2/99, 2/00) enthalten auf S.7 jeweils folgende Hinweise: "Das LErzg erhält die Mutter/der Vater, wenn sie/er ... e) Deutscher ist oder die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union (EU) oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) besitzt.

Derselbe Wortlaut findet sich in der vom Beklagten herausgegebenen Broschüre "Bayerisches Landeserziehungsgeld" (Stand 2001) für die Anspruchsberechtigung bei Geburten vor dem 01.01.2001. Im Übrigen wird auf den Inhalt der vorgenannten Unterlagen vollinhaltlich verwiesen.

Am 29.01.2002 (Datum der BSG-Entscheidung, B 10 EG 2/01 R, SozR 3-6940 Art.3 Nr.2) hat das Bayerische Sozialministerium bekanntgegeben, "dass die Entscheidung des BSG vom selben Tage (welche türkischen Staatsangehörigen einen Anspruch auf LErzg zubilligt hat) von den Ämtern für Versorgung und Familienförderung so rasch wie möglich vollzogen werde."

"Seither haben die Ämter tausenden türkischen Familien Anträge auf LErzg ausgehändigt, sie beraten und tausende Anträge entgegengenommen" (vgl. Leserbrief der Bayerischen Sozialministerin in der Süddeutschen Zeitung vom 18.02.2002, S.54).

Am 31.01.2002 und 05.02.2002 berichtete die Deutschland-Ausgabe des Hürriyet erstmals über das oben angeführte höchstrichterliche Urteil.

Der daraufhin am 15.02.2002 von der Klägerin gestellte Antrag auf Bewilligung von LErzg wurde durch Bescheid vom 06.11.2002 (Widerspruchsbescheid vom 10.01.2003) mit der Begründung abgelehnt, der Antrag wirke höchstens sechs Monate vor der Antragstellung zurück, rage also nicht in den möglichen Anspruchszeitraum (02.01.2000 mit 01.01.2001) hinein. Auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH vom 04.05.1999 könne nicht auf die Einhaltung des konstitutiven Tatbestandsmerkmals der Antragsfrist verzichtet werden.

II. Mit der am 10.02.2003 zum Sozialgericht (SG) München erhobenen Klage machte die Klägerin im Wesentlichen geltend, der Beklagte habe bisher LErzg versagt. Sie habe nach dem Bezug von BErzg auch LErzg begehrt. Von der Behörde sei ihr jedoch mitgeteilt worden, dass in Deutschland lebende türkische Staatsangehörige keinen Anspruch auf diese Leistung hätten. Erst nach dem Grundsatzurteil des BSG vom 29.01.2002, B 10 EG 2/01 R, welches auf eine Entscheidung des EuGH beruhe, habe sie erfahren, dass der Ausschluss von in Deutschland lebenden türkischen Staatsangehörigen, die ansonsten alle Leistungsvoraussetzungen erfüllten, gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art.3 GG sowie das Diskriminierungsverbot des europäisch-türkischen Assoziationsrechts verstoße. Sofort nach Kenntniserlangung dieser Entscheidung habe sie am 15.02.2002 rückwirkend LErzg beansprucht. Der Beklagte habe sie allerdings im Rahmen seiner Beratungspflicht nicht bestmöglich beraten und aufgeklärt, sondern tatkräftig davon abgehalten, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Dieses Fehlverhalten habe dazu geführt, dass die Klägerin es unterlassen habe, LErzg zu beantragen. Der Beklagte verwies pauschal auf die Gründe des angefochtenen Bescheides.

Die 29. Kammer hob die streitgegenständlichen Bescheide mit Gerichtsbescheid vom 12.01.2005 auf und verurteilte den Beklagten zur Gewährung von LErzg für den 1998 geborenen C. Die Klägerin unterfalle dem persönlichen Anwendungsbereich des Art.2 i.V.m. Art.1 b i ARB Nr.3/80, sie sei familien...

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