Orientierungssatz

Parallelentscheidung zu dem Urteil des LSG München vom 24.3.2005 - L 9 EG 56/04, das vollständig dokumentiert ist.

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 16.08.2004 in Ziffer I und II aufgehoben.

II. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 10.10.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.11.2002 verurteilt, der Klägerin für das am 26.09.1997 geborene Kind G. Landeserziehungsgeld in Höhe von 5/6 des gewährten Bundeserziehungsgeldes für dessen 2. Lebensjahr zu gewähren. Insoweit wird die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.

III. Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des zweiten Rechtszuges zu erstatten.

IV. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch der Klägerin auf Landeserziehungsgeld (LErzg) für den 25. mit 36. Lebensmonat (26.09.1999 mit 25.09.2000) ihrer Tochter G. (G.) streitig.

I. Die am ...1960 geborene Klägerin, eine verheiratete türkische Staatsangehörige, welche seit 18.03.1991 im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung war und seit 1969 ihren Aufenthalt in Bayern hat, ist die Mutter der am 26.09.1997 in M. geborenen G. Sie lebte seither mit dieser, einem weiteren Kind und ihrem Ehemann in einem gemeinsamen Haushalt, betreute und erzog G. und übte daneben keine Erwerbstätigkeit aus. Sie war bei der AOK Bayern familienversichert. Durch Bescheide des Amts für Versorgung und Familienförderung München II vom 24.11.1997 und 10.11.1998 wurde ihr Bundeserziehungsgeld (BErzg) gewährt, zuletzt für das zweite Lebensjahr des Kindes in Höhe von 600,00 DM monatlich (26.09.1998 mit 25.09.1999).

Die vom Beklagten den in Frage kommenden Eltern u.a. bereits bei der Geburt eines Kindes zur Verfügung gestellten Antragsgebinde für BErzg, LErzg und Familienbeihilfe (Stand 2/97, 2/98, 2/99, 2/00) enthalten auf S.7 jeweils folgende Hinweise: "Das LErzg erhält die Mutter/der Vater, wenn sie/er ... e) Deutscher ist oder die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union (EU) oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) besitzt.

Derselbe Wortlaut findet sich in der vom Beklagten herausgegebenen Broschüre "Bayerisches Landeserziehungsgeld" (Stand 2001) für die Anspruchsberechtigung bei Geburten vor dem 01.01.2001. Im Übrigen wird auf den Inhalt der vorgenannten Unterlagen vollinhaltlich verwiesen.

Am 29.01.2002 (Datum der BSG-Entscheidung, B 10 EG 2/01 R, SozR 3-6940 Art.3 Nr.2) hat das Bayerische Sozialministerium bekanntgegeben, "dass die Entscheidung des BSG vom selben Tage (welche türkischen Staatsangehörigen einen Anspruch auf LErzg zubilligt hat) von den Ämtern für Versorgung und Familienförderung so rasch wie möglich vollzogen werde."

"Seither haben die Ämter tausenden türkischen Familien Anträge auf LErzg ausgehändigt, sie beraten und tausende Anträge entgegengenommen" (vgl. Leserbrief der Bayerischen Sozialministerin in der Süddeutschen Zeitung vom 18.02.2002, S.54).

Am 31.01.2002 und 05.02.2002 berichtete die Deutschland-Ausgabe des Hürriyet erstmals über das oben angeführte höchstrichterliche Urteil.

Der daraufhin am 14.02.2002 von der Klägerin gestellte Antrag auf Bewilligung von LErzg wurde durch Bescheid vom 10.10.2002 (Widerspruchsbescheid vom 27.11.2002) mit der Begründung abgelehnt, der Antrag wirke höchstens sechs Monate vor der Antragstellung zurück, rage also nicht in den möglichen Anspruchszeitraum (26.09.1999 mit 25.09.2000) hinein. Auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH vom 04.05.1999 könne nicht auf die Einhaltung des konstitutiven Tatbestandsmerkmals der Antragsfrist verzichtet werden.

II. Mit der am 27.12.2003 zum Sozialgericht (SG) München erhobenen Klage machte die Klägerin im Wesentlichen geltend, eine frühere Antragsstellung sei aufgrund der Belehrung in den amtlichen Merkblättern zum LErzg unterblieben, welche auf die deutsche bzw. EU-Staatsangehörigkeit abgestellt habe. Erst nach der Veröffentlichung des BSG-Urteils vom 29.01.2002, welches die "Sürül"-Entscheidung des EuGH vom 04.05.1999 umgesetzt habe, sei die Klägerin in der Lage gewesen, LErzg zu beantragen. Insoweit sei es dem Beklagten verwehrt sich auf eine verspätete Antragstellung zu berufen.

Der Beklagte verwies darauf, dass ein Leistungsanspruch nur gegeben sei, wenn die Voraussetzungen des Herstellungsanspruchs vorliegen. Er sei frühestens nach dem 04.05.1999 in der Lage gewesen, den betroffenen Personenkreis und damit auch die Klägerin zu informieren. Erst ab diesem Zeitpunkt hätten beachtliche Aussichten auf einen entsprechenden Leistungsanspruch bestanden. Erforderlich sei jedoch ein konkreter Anlass für eine eingehende Beratung, wohingegen Informationen über Merkblätter oder Infobroschüren für sich allein nicht ausreichten. Nach den vorliegenden Unterlagen habe es ab dem 04.05.1999 diesbezügliche Anfragen der Klägerin bzw. einen konkreten Anlass für eine entsprechende Beratung nicht gegeb...

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