Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Klagebefugnis. Kinderzuschlag. Antragsbefugnis Dritter. berechtigtes Interesse an der Leistung. sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Überprüfungsverfahren. Ermessen der Familienkasse bei Rücknahme für die Vergangenheit. Selbstbindung der Verwaltung. Durchführungsanweisung. Rechtswidrigkeit aufgrund einer fehlerhaften Rechtsanwendung

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 9 Abs 1 S 3 BKGG (juris: BKGG 1996) begründet das Recht Dritter (hier: des Ehemanns der kindergeldberechtigten Mutter) auf die Beantragung von Kinderzuschlag, soweit diese ein berechtigtes Interesse an der Leistung des Kinderzuschlags haben.

2. Das der Familienkasse in § 11 Abs 4 BKGG eingeräumte Ermessen bei der Rücknahme von ablehnenden Entscheidungen über Kinderzuschlag für die Vergangenheit nach § 44 SGB X ist durch Ziff 131.2 Abs 4 der Durchführungsanweisung zum SGB I und X der Familienkasse Direktion RV II-7543 nach dem aus Art 3 Abs 1 GG abzuleitenden Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung auf eine Rücknahme gebunden, soweit die Rechtswidrigkeit der Ablehnung auf einer fehlerhaften Rechtsanwendung beruht. Beruht die Rechtswidrigkeit der Ablehnung dagegen auf fehlenden oder fehlerhaften Angaben des Antragstellers, ist die Ermessensausübung der Familienkasse durch die Dienstanweisung nicht gebunden.

 

Orientierungssatz

1. Ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 9 Abs 1 S 3 BKGG 1996 haben insbesondere natürliche und juristische Personen, die unterhaltsverpflichtet sind oder zu deren Gunsten eine Auszahlung, Übertragung oder Verpfändung möglich ist (vgl BSG vom 5.5.2015 - B 10 KG 1/14 R = BSGE 119, 33 = SozR 4-5870 § 1 Nr 4, RdNr 10).

2. Aus dem berechtigten Interesse nach § 9 Abs 1 S 3 BKGG 1996 resultiert nicht nur das Recht, einen Antrag auf Kinderzuschlag für den Berechtigten im Verwaltungsverfahren zu stellen, sondern auch zur nachfolgenden Klage. Die Vorschrift ermöglicht eine gesetzliche Prozessstandschaft (vgl BSG vom 5.5.2015 - B 10 KG 1/14 R aaO RdNr 11). Gleiches gilt für die Befugnis zur Antragstellung nach den §§ 44 ff SGB 10 sowie zur anschließenden Rechtsverfolgung.

 

Tenor

I. Auf die Berufung werden das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 15. November 2017 sowie der Bescheid der Beklagten vom 5. April 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Januar 2015 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Bescheid vom 7. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Januar 2008 abzuändern und der Beigeladenen Kinderzuschlag

für August 2007

iHv 350 €,

für September 2007

iHv 363 €,

für Oktober 2007

iHv 168 € und

für November und Dezember 2007

iHv 318 € monatlich

zu gewähren.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Klägers in beiden Instanzen zu 1/10.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist in der Überprüfungssituation die Höhe des Kinderzuschlags für die Zeit von August 2007 bis Januar 2008.

Der 1968 geborene Kläger und Berufungskläger (in der Folge: Kläger) und seine mit Beschluss des Senats vom 10.9.2019 zum Verfahren beigeladene, 1969 geborene Ehefrau (in der Folge: Beigeladene) sind Eltern von drei 2003, 2005 und 2007 geborenen Kindern. Ihre Unterkunftskosten betrugen im August 2007 665 € bzw ab September 2007 685 € monatlich. Aufgrund der Schwerbehinderung des Klägers (GdB von 50 ohne Merkzeichen) wurde ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung geltend gemacht; das hierauf von der Beklagten übermittelte Formular zum Vorliegen eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs sandte der Kläger durchgestrichen zurück (Bl 27 der Beklagtenakte). Als Einkommen war neben dem Arbeitslosengeld des Klägers bis 21.1.2008 iHv 1 123,80 € monatlich der Bezug des Kindergeldes sowie von Elterngeld durch die Beigeladene in Höhe von 375 € monatlich für die Zeit von Juli 2007 bis September 2008 angegeben, wobei die Auszahlung des Elterngeldes für Juli bis Oktober 2007 erst am 3.10.2007 erfolgte. Aufwendungen für Versicherungen und das Vorhandensein von Vermögen wurden verneint.

Am 30.8.2007 beantragte die Beigeladene bei der Beklagten und Berufungsbeklagten (in der Folge: Beklagte) Kinderzuschlag. Die Beklagte bewilligte der Beigeladenen unter dem Vorbehalt der Prüfung der Rückforderung Kinderzuschlag für August iHv 349 €, für September iHv 362 €, für Oktober iHv 137 € und für November und Dezember 2007 iHv 287 € monatlich; dabei berücksichtigte sie die Nachzahlung des Elterngeldes im Oktober 2007 iHv 225 € (3 x 75 €) und bereinigte die Kosten für Unterkunft und Heizung um die in den Betriebskosten enthaltenen Kosten für die Warmwasserbereitung iHv 24,42 € monatlich (Bescheid vom 7.11.2007, Bl 63 der Beklagtenakte). Die unterschiedliche Höhe des bewilligten Kinderzuschlags beruhe auf dem Anstieg der Unterkunftskosten von August nach September 2007 sowie auf der Nachzahlung des Elterngeldes für August und September 2007 im Oktober 2007 bzw der laufenden Zahlung ab November 2007. Im November und Dezember 2007 s...

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