Entscheidungsstichwort (Thema)
Absenkung des Arbeitslosengeld II. wiederholte Meldeversäumnisse in der Zeit ab 1.4.2011. Zulässigkeit der gleichzeitigen Feststellung mehrerer Sanktionen und Addition der Minderungsbeträge auch auf über 30 % des maßgeblichen Regelbedarfs
Leitsatz (amtlich)
Minderungen gem § 32 SGB 2 idF ab 1.4.2011 wegen der Nichtwahrnehmung von Meldeterminen können wiederholt festgesetzt werden, ohne dass vor Eintritt der weiteren Meldepflichtverletzung die vorangegangene Minderung durch Bescheid festgesetzt worden ist. Das im Urteil des BSG vom 9.11.2010 (B 4 AS 27/10 R = SozR 4-4200 § 31 Nr 6) festgestellte Erfordernis der vorherigen Feststellung einer Sanktion durch Bescheid, bevor wegen eines wiederholten Meldeversäumnisses eine Absenkung festgestellt werden kann, ist auf den Tatbestand des Meldeversäumnisses nach § 32 SGB 2 idF ab 1.4.2011 nicht übertragbar.
Orientierungssatz
Bei wiederholten Meldeversäumnissen in zeitlich dichter Folge ist gem § 32 SGB 2 in der ab dem 1.4.2011 geltenden Fassung auch bei Überlappung der Sanktionszeiträume die gleichzeitige oder kurz aufeinander folgende Feststellung mehrerer Sanktionen zulässig, mit der Folge, dass durch die Addition der zehnprozentigen Minderungsbeträge (hier auf insgesamt 40 % des maßgeblichen Regelbedarfs) die Leistungen weitgehend oder ganz wegfallen.
Tenor
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 09.05.2012 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten unter anderem über Absenkungen des Arbeitslosengelds II der Klägerin zu 2) aufgrund von Meldeversäumnissen.
Die 1981 geborene Klägerin zu 2) steht mit ihrem 1983 geborenen Ehemann, dem Kläger zu 1), seit 2009 im Leistungsbezug nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).
Die Klägerin zu 2) gab in den Anträgen jeweils an, voll erwerbsgemindert zu sein.
Der Beklagte bewilligte der Klägerin zu 2) mit Bescheid vom 11.02.2009 zunächst Leistungen als nicht erwerbsfähiger Angehöriger (Sozialgeld), wies aber mit Schreiben vom 20.03.2009 darauf hin, dass die Frage der Erwerbsfähigkeit noch abzuklären sei. Hierfür seien zunächst ein Gesundheitsfragebogen und eine Schweigepflichtentbindung vorzulegen.
Die Kläger übersandten daraufhin einen Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales vom 17.07.2009, mit dem abgelehnt wird, einen Grad der Behinderung (GdB) festzustellen. Die Klägerin zu 2) leidet danach an Burnout, Bronchialasthma und einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule. Für diese Leiden ist jeweils ein GdB von 10 angesetzt.
Die Vorlage weiterer Unterlagen wurde von ihnen als nicht erforderlich verweigert. Eine im Mai 2010 veranlasste Untersuchung durch den ärztlichen Dienst kam nicht zu Stande. Die Klägerin zu 2) erklärte hierzu mit Schreiben vom 14.05.2010, dass sie aufgrund der Schikane auf Arbeitslosengeld II künftig verzichte. Mit Schreiben vom 27.05.2010 widerrief sie diesen Verzicht.
Der Kläger zu 1) plante zu diesem Zeitpunkt die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit.
Mit Schreiben vom 06.06.2011 beantragte er Einstiegsgeld für die Aufnahme einer Tätigkeit im Versicherungsbereich, berufsbegleitend eine Ausbildung zum Versicherungskaufmann.
Mit Schreiben vom 14.09.2011 stellte er einen neuen Antrag auf Einstiegsgeld und wies darauf hin, dass er eine selbständige Tätigkeit im Bereich Marktforschung/Interview/Testkauf aufnehmen werde. Hierzu legte er am 17.10.2011 einen überarbeiteten Businessplan vor. Mit Schreiben vom 10.11.2011 fragte er wegen der Übernahme von Umzugskosten im Zusammenhang mit der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit an.
Parallel hierzu erfolgten ab 01.01.2011 mehrfach Absenkungen der Leistungen, weil die Kläger zu Meldeterminen nicht erschienen waren, zuletzt mit Bescheid vom 23.05.2011 gegenüber der Klägerin zu 2) für die Zeit ab 01.06.2011 bis 31.08.2011. Diese Bescheide sind bestandskräftig geworden.
Mit Bescheid vom 21.07.2011 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 16.09.2011 bewilligte der Beklagte den Klägern Leistungen ab 01.09.2011 bis 29.02.2011.
Mit Schreiben vom 16.11.2011 forderte der Beklagte die Klägerin zu 2) auf, am 21.11.2011 einen Termin zur Besprechung ihres Bewerberangebots beziehungsweise ihrer beruflichen Situation wahrzunehmen. Zu diesem Termin erschien die Klägerin zu 2) nicht. Auf Anhörung mit Schreiben vom 21.11.2011 erklärte der Kläger zu 1), wie bereits mehrfach mitgeteilt, sei die Sachbearbeitung für eine Vermittlung in eine nichtselbständige Tätigkeit aufgrund seiner Existenzgründung für ihn und seine Frau nicht mehr zuständig. Man solle seine Frau in Ruhe lassen, denn man habe bis heute keinerlei Beweise für die Zweifel an der früheren Entscheidung vorgelegt. Dies erfülle den Straftatbestand der Nötigung, Belästigung, Vortäuschen falscher Tatsachen, Amtsanmaßung, Amtsmissbrauch, schwere vorsätzliche Körperverletzung und versuchten Mordes an seiner Frau sowie den Straftatbestand der Unterschlagung. Jeder Kontak...