Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Unzulässigkeit. erneute Klage nach Prozessvergleich. identischer Streitgegenstand. Rechtskraft. Bindungswirkung

 

Leitsatz (amtlich)

Soweit eine Klage durch Prozessurteil rechtskräftig abgewiesen worden ist, ist eine weitere Klage, bei der es um die gleiche Prozessvoraussetzung geht, deswegen nicht zulässig.

 

Orientierungssatz

Die Bindungswirkung gem § 141 Abs 1 SGG betrifft die Urteilsformel mit dem dort enthaltenen Gedanken und hat zur weiteren Folge, dass die Beteiligten mit einem tatsächlichen Vorbringen ausgeschlossen sind, das im Widerspruch zu den Feststellungen der rechtskräftigen Entscheidung steht. Hat ein Gericht den Streitgegenstand eines rechtskräftig entschiedenen Prozesses als Vorfrage erneut zu prüfen, hat es den Inhalt der rechtskräftigen Entscheidung zugrunde zu legen.

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 31.05.2006 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Zahlung von Arbeitslosengeld.

Die 1969 geborene Klägerin, eine ukrainische Staatsangehörige, war bis 30. September 1998 als Frühstücksköchin in einem Hotel in A-Stadt beschäftigt; das Arbeitsverhältnis wurde vom Arbeitgeber zum 30. September 1998 wegen unentschuldigten Fehlens gekündigt. Die Klägerin hatte sich zum 15. Oktober 1998 arbeitslos gemeldet. Mit Bescheid vom 11. November 1998 hatte die Beklagte eine Sperrzeit vom 1. Oktober 1998 bis 23. Dezember 1998 (zwölf Wochen) festgestellt. Im Überprüfungsbescheid vom 10. Februar 1999 hatte die Beklagte an der Sperrzeit festgehalten und den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 1999 zurückgewiesen.

Die Klägerin erhob dagegen am 9. Juni 1999 beim Sozialgericht München Klage (S 5 AL 829/99) auf Zahlung von Arbeitslosengeld vom 1. Oktober bis 23. Dezember 1998. In der mündlichen Verhandlung am 29. Mai 2001, in der sie mit einem Rechtsanwalt erschienen war, schlossen die Prozessbeteiligten einen Vergleich, dass unter Abänderung des Bescheides vom 11. November 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 1999 eine nur sechswöchige Sperrzeit beginnend mit dem 1. Oktober 1998 festgestellt wird und die Beklagte die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin erstattet. Die Beteiligten waren sich darüber einig, dass mit Abschluss dieses Vergleichs der Rechtsstreit in vollem Umfang erledigt ist. Der Vergleich wurde den Beteiligten vorgelesen und von ihnen genehmigt.

Am 26. März 2002 focht die Klägerin beim SG den Vergleich an; sie sei von dem Rechtsanwalt getäuscht worden. Die Arbeitgeberkündigung sei rechtswidrig gewesen; eine Sperrzeit hätte nicht verhängt werden dürfen. Das SG stellte mit Gerichtsbescheid vom 9. Juli 2003 (S 5 AL 468/02) fest, dass das Klageverfahren S 5 AL 829/99 durch Prozessvergleich erledigt sei. Der Vergleich sei wirksam zu Stande gekommen. Die Klägerin habe überdies mit ihrem Schreiben vom 18. Februar 2002 bestätigt, dass sie mit der Reduzierung der Sperrzeit auf sechs Wochen einverstanden gewesen sei.

Gegen den Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 8. August 2003 durch ihren Vater Berufung beim Bayer. Landessozialgericht einlegen lassen. Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung am 30. Januar 2004, in der die Klägerin von ihrem Vater vertreten war, und zu der eine Dolmetscherin hinzugezogen wurde, die Berufung zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen des Urteils hat es ausgeführt, das SG habe zu Recht festgestellt, dass das Klageverfahren S 5 AL 829/99 durch den Prozessvergleich vom 29. Mai 2001 abgeschlossen wurde und dass aufgrund dieses Vergleichs bestandskräftig feststeht, dass der Sperrzeitbescheid vom 11. November 1998 nur zurückzunehmen war, soweit der Eintritt einer Sperrzeit von mehr als sechs Wochen festgestellt wurde. Da aufgrund dieser bestandskräftigen Feststellung der Anspruch für sechs Wochen ruht, habe die Klägerin keinen Anspruch auf Zahlung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 15. Oktober bis 11. November 1998. Der Vergleich sei wirksam zustande gekommen. Die Anfechtung des Vergleichs sei nicht wirksam; die Klägerin mache lediglich einen unbeachtlichen Motivirrtum geltend nicht gewusst zu haben, dass wegen des Erstattungsanspruchs des Sozialhilfeträgers ihr nur ein relativ geringer Betrag ausgezahlt werden würde.

Am 9. November 2005 hat die Klägerin wieder Klage beim SG erhoben, mit der sie gegen den Prozessvergleich vorgeht. Die Anfechtung führe zur Nichtigkeit des Vergleichs, der Gerichtsbescheid des SG vom 9. Juli 2003 sei rechtswidrig und verletze sie in ihren Rechten (S 5 AL 1619/05). Nachdem das Bayer. Landessozialgericht mit Beschluss vom 6. April 2006 (L 5 AR 29/06 AL) ein Ablehnungsgesuch der Klägerin gegen die Vorsitzende der 5. Kammer des SG als unbegründet festgestellt hat, hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 31. Mai 2006 die erneute Anfechtung als unzulässig zurückgewie...

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