Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufskrankheit. Krebs. Harnblasenkarzinom. Aromatische Amine. Zigaretten. Kausalität. Gummi. Kohle
Leitsatz (redaktionell)
Hat ein Versicherter langjährig ca. 20 Zigaretten geraucht, kann ein Harnblasenkarzinom ohne weiteres auf den Nikotinkonsum zurückgeführt werden. Es besteht dann keine hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine Verursachung der Erkrankung gerade durch eine berufliche Exposition gegenüber aromatischen Aminen, so dass die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 1301 der Anlage zur BKV ausscheidet.
Normenkette
SGB VII § 7 Abs. 1, § 9 Abs. 1 S. 1; BKV Anl. Nr. 1301
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 10. März 2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob beim Kläger eine Berufskrankheit nach der Ziff. 1301 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) anzuerkennen ist und hieraus Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren sind.
Der 1961 geborene Kläger ist ausgebildeter Betriebsschlosser. Er war von 1977 bis 1994 (mit Unterbrechung durch den Wehrdienst) als Betriebsschlosser bei den V. (V.) beschäftigt. Von 1994 bis 31. Mai 2001 arbeitete er bei der Müllkraftwerk S. Betriebsgesellschaft mbH (M.) als Schicht- bzw. Betriebsschlosser, anschließend bis 30. November 2001 als Wasseraufbereiter und seit 1. Dezember 2001 als Dreher.
Nach der Diagnose eines Blasenkarzinoms erfolgte eine Blasentumorresektion mit stationären Aufenthalten im Klinikum St. M. A. vom 2. bis 4. Mai 2001 und vom 21. Mai bis 2. Juni 2001. Der histologische Befund ergab ein nicht-invasives, papilläres Urothelkarzinom. Der Kläger begab sich ferner wegen einer reaktiven Depression in nervenärztliche Behandlung. Das Krankenhaus der Barmherzigen Brüder R. diagnostizierte am 10. Juli 2001 daneben rezidivierende Paraesthesien beider Beine bei exzessivem Nikotinabusus mit zwei bis drei Schachteln pro Tag.
Am 3. April 2002 ging eine ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit nach Nr. 1301 der Anlage zur BKV des Betriebsarztes Dr. S. ein. Dieser äußerte den Verdacht, der Blasenkrebs könne durch berufliche Einwirkungen von Asbest/Trichloraethylen/Säuren und Laugen im Rahmen von Reparaturarbeiten verursacht worden sein.
Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) stellte am 12. Juli 2002 nach der Einholung von Arbeitsplatzbeschreibungen der Arbeitgeber fest, die Ermittlungen hätten ergeben, dass weder im Müllkraftwerk noch in dem vorherigen Betrieb V. Stoffe vorhanden gewesen seien, die eine Berufskrankheit verursachen könnten. Der Gewerbearzt Dr. D. ging in seiner Stellungnahme vom 31. Juli 2002 ebenfalls davon aus, dass der Kläger keinen Umgang mit aromatischen Aminen gehabt hatte.
Mit Bescheid vom 21. August 2002 lehnte die Beklagte daraufhin die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 1301 der Anlage zur BKV sowie die Gewährung von Leistungen ab.
Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens holte die Beklagte eine erneute Stellungnahme des TAD vom 25. November 2002 ein. Danach gäbe es weiterhin keine Hinweise darauf, dass in dem Müllkraftwerk aromatische Amine vorhanden seien oder gewesen seien. Sie wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 8. Januar 2003 zurück.
Hiergegen legte der Kläger Klage zum Sozialgericht Regensburg ein. Aromatische Amine entstünden praktisch bei jeder Verbrennung, ohne dass diese im Einzelnen nachweisbar seien. Als Betriebsschlosser habe er häufig im Verbrennungsraum Reparaturen ausführen oder die Filter der Abgasreinigungsanlage wechseln müssen. Er sei häufig einer starken Staubentwicklung, einer belästigenden Rauchentwicklung, belästigenden Gasen und Dämpfen sowie chemischen Einflüssen ausgesetzt gewesen. Bis vor ca. fünf Jahren habe er auch im Müllbunker bzw. im Brennraum noch ohne jeglichen Schutz gearbeitet.
Auf klägerischen Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) holte das Sozialgericht ein Gutachten des Arbeits- und Sozialmediziners Prof. Dr. W. (Universität G.) ein. Auf Anregung des Gutachters nahm der TAD eine Besichtigung vor Ort bei der Fa. M. vor. Die nochmaligen Recherchen ergaben erneut keinen Hinweis darauf, dass der Kläger gegenüber krebserzeugenden aromatischen Aminen exponiert gewesen war. Dies gelte vor allem auch hinsichtlich des Umgangs mit Gummi wie z.B. beim Aufvulkanisieren neuer Gummistreifen auf abgenutzte Förderbänder.
Prof. Dr. W. gelangte in seinem Gutachten vom 19. März 2004 zu dem Ergebnis, dass, selbst wenn der Kläger am Arbeitsplatz gegenüber aromatischen Aminen exponiert gewesen wäre, die außerberuflich relevante Gefahrstoffeinwirkung durch langjähriges Zigarettenrauchen berücksichtigt werden müsse. Es sei nach der Anamnese und der Aktenlage anzunehmen, dass der Kläger für die Dauer von 20 Jahren ca. 20 Zigaretten pro Tag geraucht habe. Dies sei gut geeignet, das frühzeitige Auftreten eines Harnblasenkarzinoms zu erklären. Demgegenüber habe eine spezifische Gefahrstoffeinwirkung von aro...