Entscheidungsstichwort (Thema)

gesetzliche Unfallversicherung. Berufskrankheit. haftungsausfüllende Kausalität. konkurrierende Ursache. starker Nikotinkonsum. wesentliche Teilursache. berufliche Exposition. aromatische Amine. Harnblasenkrebs

 

Leitsatz (amtlich)

Ein langjähriger - hier über 40 Jahre währender - Nikotinkonsum steht der Feststellung einer Berufskrankheit gem BKVO Anl 1 Nr 1301 (Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine) nicht entgegen, wenn beide Ursachen - das Rauchen und der berufliche Umgang mit Azofarbstoffen - nach der übereinstimmenden medizinischen Einschätzung gleichwertig ursächlich für die Krebserkrankung der Harnblase sind. Das ist der Fall, wenn das Risiko, an einem Harnblasenkrebs durch Rauchen zu erkranken, sich nicht wesentlich von dem Risiko für die Erkrankung durch die berufliche Exposition unterscheidet.

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 11. November 1999 und der Bescheid der Beklagten vom 29. Juli 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 1997 aufgehoben.

Die Krebserkrankung der Harnblase des Klägers wird als Berufskrankheit Nr. 1301 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung festgestellt.

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Verletztenrente vom 1. November 1996 bis 31. Juli 1999 in Höhe von 50 vom Hundert und vom 1. August 1999 bis 31. Juli 2002 in Höhe von 20 vom Hundert der Vollrente zu zahlen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung eines Harnblasenkarzinoms als Berufskrankheit (BK) Nr. 1301 (Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine) der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) und Entschädigungsleistungen.

Der im September 1923 geborene Kläger hatte im Rahmen seiner Berufsausbildung zum Möbelpolierer (1938 bis 1940) Kontakt mit NC-Lack, Salzbeizen und Patinierbeizen auf Nitrozellulosebasis. Es bestanden keine Schutzvorrichtungen oder Absaugeinrichtungen. Während seiner Tischlerlehre (1940 bis 1941) hat er nur gelegentlich lackiert und war im Übrigen durch Lackierarbeiten von Kollegen exponiert. Nach Kriegsende war er von 1946 bis 1955 in der Möbelfabrik C. beschäftigt und hatte hier Kontakt mit NC-Lack, Schell-Lack sowie Salzbeizen, Patinierfarben (lösemittelhaltige Beizen auf Nitrobasis) und Klarlacken. Danach arbeitete er bis 1959 als Einschaler oder Tischler, bis 1967 war er wiederum bei der Firma C. im Außendienst als Montagearbeiter tätig, wo er nur gelegentlich Farbe nachgerollt hat. Bis 1974 arbeitete er im Kundendienst im Hausbau, anschließend an einem Montageband (1975 bis 1976), danach war er bis 1980 in einem Labor der Firma C. tätig (Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) der Beklagten vom 25. Mai 1994). In den Zeiträumen von 1938 bis 1940 und von 1946 bis 1955 bestand Kontakt mit wässrigen Beizen und Patinierbeizen auf Nitrozellulosebasis. In der Zeit von 1946 bis 1955 war der Kläger gegenüber Azofarbstoffen, dh gegenüber aromatischen Aminen exponiert, die Benzidin und 2-Naphtylamin enthielten. Der TAD hielt diese Exposition mangels Durchführung von Spritzlackierarbeiten aber für gering (Stellungnahme vom 19. März 1997). Seit 1. März 1980 bezog der Kläger Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, seit 1. Oktober 1988 bezieht er Altersrente.

1990 wurde dem Kläger eine Y-Prothese wegen einer fortgeschrittenen arteriellen Verschlusskrankheit der Beine implantiert (Bericht des Dr. D. vom 20. Januar 1994). Im Februar 1994 erstattete Dr. D. die BK-Anzeige wegen einer Asbestose des Klägers und teilte in seinem Entlassungsbericht vom 20. Januar 1994 eine chronisch-obstruktive Atemwegserkrankung nach Nikotinabusus mit. Mit Bescheid vom 25. Oktober 1994 hat die Beklagte bei dem Kläger eine Asbestose als BK Nr. 4103 der Anlage zur BKV anerkannt, eine Verletztenrente wird mangels einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) nicht gezahlt.

Das Klageverfahren - S 13 U 201/95 - wie auch das Berufungsverfahren - L 6 U 32/98 - blieben erfolglos (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts - SG - Hannover vom 12. Dezember 1997; Urteil des Landessozialgerichts - LSG - Niedersachsen vom 24. August 1999). In dem auf Veranlassung der Beklagten erstatteten Gutachten der Dres. E. vom 31. Juli 1996 führten die Gutachter u.a. die chronisch obstruktive Atemwegserkrankung des Klägers auf das langjährige inhalative Zigarettenrauchen zurück.

Im Oktober 1996 wurde bei dem Kläger ein Harnblasenkarzinom diagnostiziert, das im November 1996 operiert wurde (Entlassungsbericht des Kreiskrankenhauses F. vom 25. November 1996).

Im Klageverfahren auf Zahlung von Verletztenrente wegen der BK Nr. 4103 stellte der Kläger am 6. Februar 1997 auch den Antrag, sein Harnblasenkarzinom als BK Nr. 1301 der Anlage zur BKV anzuerkennen. Er führte die Erkrankung auf den Umgang mit DT-Lacken, Nitrolacke...

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