Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Zulässigkeit der Bekanntgabe von Richtgrößenvereinbarungen durch Rundschreiben der Kassenärztlichen Vereinigung. Rechtmäßigkeit einer nach dem 31.3.2002 erfolgten Richtgrößenvereinbarung. Rückwirkung für das ganze Jahr nach dem Inkrafttreten des ABAG
Leitsatz (amtlich)
Zur Rechtmäßigkeit einer Richtgrößenprüfung im Jahr 2002.
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung des Beklagten sowie der Beigeladenen zu 1), 2), 4), 5) und 6) wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 24.10.2007 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 1. Juni 2006 abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
In diesem Rechtsstreit geht es um eine Richtgrößenprüfung im Jahr 2002.
Der Kläger nimmt als Allgemeinarzt in A-Stadt (bei B./Oberfranken) an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Im Jahr 2002 hatte er rund 1.000 Behandlungsfälle pro Quartal. Der Prüfungsausschuss Ärzte - Kammer Mittelfranken - setzte in seiner Sitzung vom 08.03.2005 (Bescheid vom 31.03.2005) gegen den Kläger wegen Überschreitung des Richtgrößenvolumens für das Jahr 2002 einen Regress in Höhe von 42.393,59 EUR fest. Zur Begründung führte er aus, die Prüfung sei gemäß § 106 Abs. 5a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) von Amts wegen durchzuführen, wenn das Brutto-Verordnungsvolumen eines Arztes in einem Kalenderjahr das Richtgrößenvolumen um mehr als 15 % übersteige (Prüfungsvolumen) und aufgrund der vorliegenden Daten der Prüfungsausschuss nicht davon ausgehe, dass die Überschreitung in vollem Umfang durch Praxisbesonderheiten begründet sei. Zur Ermittlung der Gesamtverordnungskosten seien die Wirkstoffe nach Anlage 2) der von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und den Spitzenverbänden der Krankenkassen herausgegebenen Empfehlung für regionale Vereinbarungen über die Prüfung der Wirtschaftlichkeit in der vertragsärztlichen Versorgung auf der Grundlage von Richtgrößen für Arzneimittel und Heilmittel ab dem Jahr 2000 vom 21. Februar 2000 (Empfehlung zu Richtgrößen) bereits vorab berücksichtigt worden. Die entsprechenden Kosten flössen nicht in die Gesamtsumme der Brutto-Verordnungskosten ein. Den so bereinigten Gesamtverordnungskosten werde ein individuell für jede Praxis ermitteltes Richtgrößenvolumen gegenüber gestellt, das sich aus der Multiplikation der in Altersklassen aufgeteilten ambulanten Fallzahl der jeweiligen Praxis im Jahr 2002 mit der entsprechenden, ebenfalls nach Alterklassen differenzierten Richtgröße je Fall ergebe. Zur Ermittlung des Richtgrößenvolumens seien die der Praxisausrichtung entsprechenden Richtgrößenwerte der Allgemeinärzte Land ohne Diabetes-Vereinbarung zugrunde gelegt worden. Beim Kläger habe einem Gesamtverordnungsvolumen des Jahres 2002 in Höhe von 353.780,14 EUR ein Richtgrößenvolumen von 236.910,24 EUR gegenüber gestanden, das somit um 49,33 % bzw. 116.869,90 EUR überschritten worden sei. Der Prüfungsausschuss habe geprüft, ob und ggf. in welchem Umfang die Überschreitung durch Praxisbesonderheiten begründet sei. Hierbei sei zu beachten, dass die in 36 Gruppen gegliederten, fein differenzierten Richtgrößen in Bayern bereits gruppenspezifische Praxisbesonderheiten bei der Vergleichsgruppenbildung berücksichtigten und damit zu einem hohen Grad an Homogenität der Vergleichsgruppe führten. Als Praxisbesonderheiten seien zunächst dem Grunde nach alle Präparate zu werten, die in der Anlage 3) der Empfehlung zu Richtgrößen und in der in Bayern von der Beigeladenen zu 1) mit den Spitzenverbänden der Krankenkassen zusätzlich abgestimmten Liste zu berücksichtigender Praxisbesonderheiten (sog. Anlage 3a) aufgeführt seien und auf ein besonderes Patientenklientel mit entsprechend teueren Verordnungen schließen ließen. Hierbei handle es sich um Präparate im Zusammenhang mit Indikationsgebieten, die fallbezogen und indikationsabhängig zu berücksichtigen seien (Anlage 3) bzw. um sonstige Praxisbesonderheiten (Anlage 3a). Da die in diesen Anlagen genannten Präparate in der Regel von einem ganz überwiegenden Teil oder sogar allen Ärzten der Vergleichsgruppe verordnet würden, stelle allein die Tatsache, dass ein entsprechendes Arzneimittel verordnet wurde, noch keine Praxisbesonderheit dar. Vielmehr seien nur die Kosten der jeweiligen Präparate der Anlagen 3 und 3a als Praxisbesonderheiten zu werten, die über die Durchschnittskosten der Vergleichsgruppe hinaus gingen und damit einen Mehrbedarf darstellten. Dieser Mehrbedarf sei wiederum nur dann anzuerkennen, wenn die entsprechenden Arzneimittel auch wirtschaftlich eingesetzt worden seien und die höheren Kosten gegenüber der Vergleichsgruppe nicht z.B. auf die unbegründete Verwendung ausschließlich teuerer Originalpräparate zurückzuführen seien. In einem ersten Prüfungsschritt seien deshalb alle verordneten Präparate nach Anlagen 3 oder 3a ermittelt und die prozentualen Anteile jeder Verordnung an den Ge...