Entscheidungsstichwort (Thema)
Kassenärztliche Vereinigung. Honorarberichtigung. Verrechnung und Anrechnung einer Rückforderung mit Honoraransprüchen. Bestehen einer insolvenzrechtlich geschützten Aufrechnungslage
Leitsatz (amtlich)
1. Eine insolvenzrechtlich geschützte Aufrechnungslage besteht bereits dann, wenn der Vertragsarzt seine Leistungen erbracht und die Abrechnung bei der KVB vor Insolvenzeröffnung eingereicht hat.
2. Auch nach Insolvenzeröffnung ist eine Anrechnung von vorschussweise zuviel gezahltem Honorar möglich, wenn eine solche Möglichkeit in den Abrechnungsbestimmungen der KVB oder in einer Vereinbarung zwischen Insolvenzschuldner und KVB vorgesehen ist.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 9. Oktober 2007 wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung von 53.657,78 EUR zur Insolvenzmasse.
Mit Beschluss des Amtsgerichts A-Stadt vom 01.05.2005 wurde über das Vermögen des Insolvenzschuldners Dr. R., Facharzt für Orthopädie, das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Insolvenzschuldner war als Orthopäde vertragsärztlich tätig. Er war Rückforderungsansprüchen der Beklagten in Höhe von 53.657,78 EUR gemäß dem bestandskräftigen Rückforderungsbescheid vom 25.06.2003 (1. Einbehalt in Höhe von 851,98 EUR im Quartal 3/04, 37 Einbehalte á 1400,00 EUR, Schlusseinbehalt in Höhe von 1.005,80 EUR gemäß Vereinbarung vom 23.02.2005, davon insgesamt 6.451,98 EUR vor der Insolvenzeröffnung) ausgesetzt. Die Honorarrückforderung in Höhe von 53.657,78 EUR wurde in die Quartalsabrechnung 3/04 als Saldoposten aufgenommen und wurde von da an als Saldovortrag in die folgenden Quartale übernommen. Mit Schreiben vom 23.02.2005 erklärte sich die Beklagte auf den Antrag des Dr. R. vom 26.08.2003 mit einer ratenweisen Tilgung der Rückforderung in Höhe von 53.657,78 EUR einverstanden. Ab März 2005 führte die Beklagte die Verrechnungen mit den Honoraransprüchen des Insolvenzschuldners entsprechend dem im Schreiben vom 23.02.2005 festgelegten Zeitplan fort. Mit Schreiben vom 30.06.2006 forderte der Kläger die Beklagte auf, die Verrechnung ihres Rückforderungsanspruches mit den Zahlungsansprüchen des Insolvenzschuldners für die Zukunft zu unterlassen und forderte mit weiteren Schreiben vom 11.07.2006, 22.08.2006 und 24.08.2006 die Beklagte auf, die bislang durch Verrechnungen einbehaltenen Beträge in Höhe von 30.100,00 EUR bis spätestens zum 04.09.2006 auf das Insolvenzanderkonto des Klägers auszukehren. Dem ist die Beklagte nicht nachgekommen.
Mit Schriftsatz vom 06.11.2006 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht München erhoben mit dem Antrag, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 30.100,00 EUR nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.05.2005 zu zahlen und festzustellen, dass die Verrechnung der Rückforderungsansprüche der Beklagten mit Zahlungsansprüchen des Insolvenzschuldners ab dem Quartal 2/2006 unzulässig sei. Der Rückzahlungsanspruch des Klägers hinsichtlich der Verrechnungen mit den Zahlungsansprüchen des Insolvenzschuldners aus dem Quartal 1/2005 ergebe sich aus § 130 Insolvenzordnung (InsO) i.V.m. § 143 InsO. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO (Kenntnis der Beklagten von der Zahlungsunfähigkeit des Insolvenzschuldners oder dem Eröffnungsantrag) seien gegeben. Die Verrechnung mit den Zahlungsansprüchen aus dem Quartal 2/2005 seien teilweise gemäß den §§ 81, 91 InsO unwirksam bzw. gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 InsO unzulässig. Sämtliche Verrechnungen im Rahmen des Quartals 2/2005 seien nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden. Teilweise beruhten die Zahlungsansprüche des Insolvenzschuldners auf Leistungen, die er vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, teilweise auf Leistungen, die er nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbracht habe. Schließlich seien die Verrechnungen mit den Zahlungsansprüchen aus den Quartalen 3/2005, 4/2005 und 1/2006 gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO unzulässig. Die einbehaltenen Beträge seien insgesamt zur Insolvenzmasse zurückzugewähren. Die Beklagte verweigere die Auskehrung der durch die Verrechnungen einbehaltenen Beträge unter Berufung auf § 114 InsO, insbesondere § 114 Abs. 2 InsO. Sie behaupte, dass ihr nach dieser Vorschrift die Möglichkeit der Aufrechnung bis zwei Jahre nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zustehe. Dabei übersehe die Beklagte jedoch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 11.05.2006, Az.: IX ZR 247/03. Danach sei § 114 Abs. 2 InsO nicht auf Vergütungsansprüche eines Kassenarztes gegen die zuständige Kassenärztliche Vereinigung anwendbar. Da die Beklagte die Aufrechnung ihrer Rückforderungsansprüche mit den Zahlungsansprüchen des Insolvenzschuldners für zulässig erachte und deshalb davon auszugehen sei...