Entscheidungsstichwort (Thema)
Anerkennung von Ersatzzeiten für Zeiträume einer in der ehemaligen Sowjetunion ausgeübten Beschäftigung, die nicht zur Berücksichtigung als Fremdrentenzeit führt
Orientierungssatz
1. Ausländische Pflichtbeitragszeiten schließen die Anrechnung einer Ersatzzeit nur aus, wenn sie deutschen Pflichtbeitragszeiten gleichstehen (vgl LSG Celle-Bremen vom 19.1.2011 - L 2 R 51/09, entgegen LSG Bremen vom 28.1.1999 - L 2 RA 21/98).
2. Eine Anerkennung von Ersatzzeiten ist nicht ausgeschlossen, wenn eine Beschäftigung ausgeübt wird, die nicht zur Anerkennung von Beschäftigungszeiten nach dem FRG und damit zur Versicherungspflicht führt.
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 22. März 2012 und der Bescheid vom 27. Februar 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. August 2008 abgeändert und die Beklagte zur Gewährung einer Regelaltersrente für die Zeit ab 01. April 2008 unter Berücksichtigung einer Ersatzzeit vom 01. April 1957 bis 31. Dezember 1989 nach den gesetzlichen Bestimmungen verurteilt.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist ein Anspruch auf Regelaltersrente ab 01.04.2008 unter Berücksichtigung von Ersatzzeiten für die Zeit vom 01.04.1957 bis 31.12.1991.
Der 1943 in der ehemaligen Sowjetunion (T.) geb. Kläger wurde nach eigenen Angaben mit seinen Eltern im Jahr 1943 von den deutschen Behörden in den Warthegau (L.) umgesiedelt. Im Oktober 1944 erwarb der Kläger zusammen mit seinen Eltern die deutsche Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung (Einbürgerungsurkunde vom 20.10.1944). Im Zuge der weiteren Kriegsereignisse gelangte er zusammen mit seiner Familie nach W. in Deutschland. Im Jahr 1945 wurde die Familie des Klägers ausweislich einer Bestätigung des Innenministeriums der Russischen Föderation vom 14.04.2007 aus Deutschland oder Polen in die UdSSR repatriiert. Dort wurde die Mutter des Klägers unter behördliche Aufsicht mit Meldepflicht gestellt. Der Kläger wurde als Familienmitglied einer unter behördlicher Aufsicht stehenden Familie geführt. Von der Aufsicht mit Meldepflicht wurde die Mutter des Klägers am 22.07.1955 befreit (“Bestätigung der Rehabilitierung„, ausgestellt vom Innenministerium der Russischen Föderation am 14.04.2007).
Der Kläger reiste am 07.05.2007 ohne vorherige Statusfeststellung nach dem Bundesvertriebenengesetz (BVFG) mit einem deutschen Reisepass, ausgestellt von der Deutschen Botschaft in Moskau am 09.02.2007, in das Bundesgebiet ein. Am 23.05.2007 stellte der Kläger formlos einen Rentenantrag. Vom 09.05.2007 bis 31.03.2008 legte er 11 Monate Pflichtbeitragszeiten wegen Bezugs von Arbeitslosengeld II zurück. Laut Bescheid vom 09.12.2011 erhält er Grundsicherungsleistungen im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) in Höhe von 554,11 €. Bedarfsmindernd wurde eine russische Rente in Höhe von 290 € berücksichtigt.
Mit Bescheinigung vom 14.01.2008 bestätigte die Regierung von Schwaben gemäß § 100 BVFG, dass der Kläger Vertriebener im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 2 BVFG (Umsiedler) ist.
Das Bundesverwaltungsamt - Außenstelle Friedland - teilte der Stadt A-Stadt mit Schreiben vom 28.06.2007 mit, dass der Kläger über die Möglichkeit informiert wurde, einen Antrag auf Erteilung eines Ausnahmebescheides nach § 27 Abs. 2 BVFG (Härtefall) zum Zwecke der Anerkennung als Spätaussiedler zu stellen und dass ihm die entsprechenden Vordrucke übersandt wurden.
Am 13.02.2008 beantragte er bei der Beklagten, die Zeiten vom 01.04.1957 (nach Vollendung des 14. Lebensjahres) bis 31.12.1991 als Ersatzzeiten im Sinne von § 250 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) anzuerkennen.
Er berief sich auf seinen Status als Vertriebener bis zur Ausreise im Jahr 2007 und legte u.a. die Einbürgerungsurkunde vom 20.10.1944, die Bestätigung der Rehabilitierung vom 14.04.2007 und das Abschlusszeugnis über die Ausbildung zum Elektroinstallateur vom 03.06.1970 vor. Die Rückkehr nach Deutschland sei durch feindliche Maßnahmen verhindert worden. Er sei daher Versicherter im Sinne von § 2 Abs. 1a Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) seit 1944 gewesen und gehöre auch zum Personenkreis des § 250 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI.
Mit Bescheid vom 27.02.2008 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung von Regelaltersrente ab, weil die Wartezeit nicht erfüllt sei. Erforderlich hierfür seien 60 Kalendermonate mit Beitragszeiten, Zeiten der Kindererziehung, Ersatzzeiten oder Wartezeitmonaten aus übertragenen oder begründeten Rentenanwartschaften aufgrund eines Versorgungsausgleichs sowie aus geringfügiger versicherungsfreier Beschäftigung. Insoweit seien jedoch keine Kalendermonate nachgewiesen. Die geltend gemachten Ersatzzeiten könnten nicht als rentenrechtliche Zeiten anerkannt werden, da auch hierfür die Versicherteneigenschaft erforderlich sei. Die im Herkunftsland zurückgeleg...