Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziales Entschädigungsrecht. Opferentschädigung. kein tätlicher Angriff bei bloß psychisch vermittelter Täuschung. kein Schutz des OEG vor täuschungsbedingten Bildaufnahmen des Intimbereichs durch den Hausarzt

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein tätlicher Angriff im Sinne des Opferentschädigungsrechts setzt eine unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende, gewaltsame physische Einwirkung voraus, eine allein auf einer intellektuell bzw. psychisch vermittelten Täuschung beruhende Einwirkung reicht insoweit nicht aus.

2. Anschluss an BSG vom 16.12.2014 = BSGE 118, 63 = SozR 4-3800 § 1 Nr 21.

 

Orientierungssatz

Erleidet die Patientin einen Nervenzusammenbruch, weil sie realisiert hat, dass die von ihrem Hausarzt gefertigten Filmaufnahmen ihres Intimbereichs und ihrer Bewegungen in einer speziell ausgeschnittenen Nylonstrumpfhose keiner Studie dienten, sondern den sexuellen Interessen des Arztes, erhält sie mangels körperlicher Gewalteinwirkung keine Entschädigung nach dem OEG.

 

Normenkette

OEG § 1 Abs. 1 S. 1, § 6 Abs. 3; BVG § 1 Abs. 3; KOVVfG § 15 S. 1; StGB §§ 113, 121, 125, 240

 

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 16. Februar 2012 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die 1966 geborene Klägerin hat den Beruf einer Fleischereifachverkäuferin erlernt und war zuletzt als Küchenhilfe in einem Altersheim tätig. Sie begehrt Versorgung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) in Verbindung mit den Vorschriften des Gesetzes über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz - BVG).

Mit Schreiben vom 23.12.2008 wandte sich die Kriminalpolizeiinspektion B-Stadt in dem Ermittlungsverfahren "B., J., wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches durch Bildaufnahmen u.a. vom 11.12.2008, 08:15 Uhr bis 11.12.2008, 10:15 Uhr in A-Stadt" mit der Bitte an den Beklagten, folgenden "Sachverhalt hinsichtlich der Kriterien des OEG zu prüfen":

"Der Beschuldigte hat die Geschädigte in seiner Eigenschaft als ihr Hausarzt unter langwieriger Vorbereitung dazu überredet, an einer angeblichen "Studie" teilzunehmen, bei der nach seinen Angaben die Muskelbewegungen der Extremitäten mittels einer speziellen Aufnahmetechnik, der "Lichtleitlinienmessung" aufgezeichnet werden und somit Fehlhaltungen u.ä. Besonderheiten erkannt werden können. Die "Studie" soll angeblich von einem Studienkollegen des Herrn Dr. B. durchgeführt worden sein. Der Beschuldigte verwendete zur Überzeugung der Geschädigten auch etliche selbst entworfene Schriftstücke, welche die Studie darlegten und gab dabei vor, im Auftrag der Universitäten T-Stadt, M-Stadt, C-Stadt und B-Stadt zu handeln. Die "Legende", welche der Beschuldigte bei der Täuschung verwendete, war derart professionell erstellt, dass die Geschädigte diese als echt anerkannte und bei der Studie mitwirkte. Die Aufnahmen wurden dann der Art durchgeführt, dass die Geschädigte eine Nylonstrumpfhose und ein spitzenbesetztes Nachthemdchen (beides angeblich mit "Spezialpulver" beschichtet) anziehen musste. Weitere Kleidungsstücke waren "nicht erlaubt, um die Aufnahmen nicht zu stören". Die Strumpfhose war dabei im Schritt weit geöffnet, so dass die Genitalien unbedeckt waren. Sodann musste die Geschädigte "Bewegungsübungen" vollziehen, bei denen der Beschuldigte sie mit einer "Spezialkamera" filmte. Die Kamera befand sich dabei unter anderem zwischen den gespreizten Beinen der Geschädigten. Zur "Unterstützung" der Übungen musste die Geschädigte eine größere Menge Nüsse per Hand an einer eigens dafür vom Beschuldigten mitgebrachten Nussmühle (ein offensichtlicher Fetisch) malen. Die Prozedur dauerte nahezu zwei Stunden. Erst nach einem längeren Gespräch mit ihrem Ehemann bemerkte die Geschädigte, welche Art Aufnahmen der Beschuldigte hier gefertigt hat, und erlitt daraufhin einen Nervenzusammenbruch. ... Da es sich im vorliegenden Fall nicht um eine Gewalttat im klassischen Sinne handelt, wird um Prüfung gebeten, ob hier eventuell die Kriterien nach dem OEG zutreffend sind und der Geschädigten auf Antrag Leistungen gewährt werden können."

Der Beklagte teilte der Klägerin daraufhin mit, er sei von der Kriminalpolizeiinspektion B-Stadt davon in Kenntnis gesetzt worden, dass sie am 11.12.2008 Opfer einer Straftat geworden sei und eventuell ein Anspruchstatbestand des OEG erfüllt sein könnte. Voraussetzung für Leistungen nach dem OEG sei jedoch ein rechtswirksam gestellter Antrag. Es liege nun an ihr, einen solchen zu stellen, was sie am 28.01.2009 auch tat.

Sodann zog der Beklagte die Akten der Staatsanwaltschaft B-Stadt zum Aktenzeichen xxx bei. Ausweislich dieser erstatte die Klägerin am 16.12.2008 Strafanzeige und sagte im Rahmen ihrer Vernehmung als Zeugin durch Beamte der Kriminalpolizeiinspektion B-Stadt am gleichen Tag u.a. Folgendes aus:

"Er hat mich dann noch mal auf diese Studie angesprochen und meinte, man ...

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