Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Betriebsweg. innerer Zusammenhang. Handlungstendenz. betrieblicher Grund. Unterbrechung. Nachweis. Amnesie. Beweisnotstand. Beweiserleichterung. etwaige Nahrungsaufnahme, Tanken oder Erholungspause

 

Orientierungssatz

Ein Kurierfahrer, der seinen unmittelbaren Betriebsweg in das Ausland nach einer Fahrstrecke von ca 620 km nach sieben Stunden unterbrach (hier: Verlassen der Autobahn) und sich wegen einer Amnesie an den Grund für das Verlassen des unmittelbaren Weges nicht mehr erinnern konnte, steht nach den Grundsätzen des Beweisnotstands unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 13.12.2006 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten auch für das Berufungsverfahren zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Anerkennung eines Verkehrsunfalls vom 25.11.2003 als Arbeitsunfall.

Der 1947 geborene Kläger ist als Kurierfahrer bei einem Taxiunternehmen beschäftigt. Am 25.11.2003 befand er sich mit einem PKW des Arbeitgebers auf dem Weg von O. (Unterfranken) nach C. (Frankreich), um für einen Kunden ein Ersatzteil zu befördern. Gegen 22.oo Uhr kam es in P. zu einem Verkehrsunfall und zwar in der Rue L., einer mehrere hundert Meter von der Stadtautobahn entfernt gelegenen Sackgasse. Nach dem Verkehrunfallbericht der französischen Polizei fuhr der Kläger "überstürzt" in die Rue L. ein, das Fahrzeug legte sich nach Aufprall auf dem Mittelstreifen auf die rechte Seite und kollidierte mit einem parkenden Pkw. Zu den Umständen des Unfalls hat der Kläger gegenüber der Polizei keine Angaben machen können. Der Kläger hat nur angeben können, dass er Diabetiker sei. Der Kläger zog sich Verletzungen zu, die eine stationäre Behandlung erforderlich machten.

Nach einem Bericht des aufnehmenden Krankenhauses vom 28.07.2004 wurde der Kläger am 25.11.2003 wegen einer Unwohlseinsattacke notfallmäßig aufgenommen. Ein bestehender insulinpflichtiger Diabetes könnte diese Attacke als Ursache für den Verkehrsunfall ausgelöst haben. In einem weiteren Bericht vom 05.04.2005 heißt es, dass der Kläger im Rahmen eines evtl. aufgetretenen Krampfanfalles stationär behandelt wurde. Nach dem Durchgangsarztbericht des Dr. S. vom 03.12.2003 (Krankenhaus E.) bestand beim Kläger eine Amnesie für das Unfallgeschehen und eine zeitlich begrenzte Sprachstörung und Verständnisstörung. Das Krankenhaus E. berichtete unter dem 23.02.2004, dass der Kläger unfallbedingt eine commotiocerebi mit Wortfindungs- und Gedächtnisstörungen erlitten habe.

Die Beklagte befragte den Kläger zum Unfallhergang. Dieser gab unter dem 22.04.2004 an, dass er keine Erinnerung an den Unfallhergang habe. Arbeitszeitbeginn am 25.11.2003 sei etwa 15.00 Uhr gewesen. Der Arbeitgeber des Klägers teilte der Beklagten am 12.05.2005 mit, dass dem Kläger aufgegeben worden sei, die schnellste, kürzeste Strecke zu wählen. Die genaue Fahrtstrecke sei nicht vorgegeben worden. Der Kläger sei angehalten worden, den Weg über die Autobahn A 10 zu nehmen. Er habe bei einer Entfernung von 880 km mit einer Fahrtzeit von etwa 9 Stunden einschließlich Pausen gerechnet.

Mit Bescheid vom 03.06.2005 und Widerspruchsbescheid vom 01.11.2005 lehnte die Beklagte die Anerkennung und Entschädigung des Ereignisses vom 25.11.2003 als Arbeitsunfall ab. Zwar habe sich der Kläger aus betrieblichen Gründen in P. aufgehalten. Jedoch fehle es am Vollbeweis einer versicherten Tätigkeit zum Unfallzeitpunkt, da der geforderte innere Zusammenhang zwischen der unfallbringenden Verrichtung und der versicherten Tätigkeit nicht nachgewiesen sei.

Der Kläger hat Klage beim Sozialgericht (SG) Würzburg erhoben und daran festgehalten, dass der Unfall dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung unterfällt. Angesichts des Umstandes, dass sich der Kläger auf einer vom Arbeitgeber angeordneten Fahrt ohne genaue Vorgaben hinsichtlich Route und Zeit befunden habe, trage die Beklagte die Beweislast für das Nichtvorliegen einer betriebsbezogenen Verrichtung zum Unfallzeitpunkt.

Das SG hat den Inhaber des Taxiunternehmens, F. B., als Zeugen einvernommen. Es hat mit Urteil vom 13.12.2006 den Bescheid vom 03.06.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.11.2005 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, den Unfall vom 25.11.2003 als Arbeitsunfall anzuerkennen und dem Grunde nach zu entschädigen. Ein Unfall während einer Dienstreise sei hinreichend nachgewiesen. Es könne dahinstehen, aus welchen Gründen der Kläger die Autobahn verlassen habe. Bei Dienstreisen zählten nur die Pausen selbst zum Privatbereich, der Weg dorthin und die weitere Strecke nach der Pause stünden im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit. Angesichts der Gesamtlänge der Fahrtstrecke könne auch nicht von einem wesentlichen Ab- oder Umweg gesprochen werden, da sich der Unfall auf einer von der Autobahn wenige hundert Meter entfernten Straße ereig...

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