Entscheidungsstichwort (Thema)
Impfschadensrecht: Erfordernis des Vollbeweises beim Primärschaden
Leitsatz (amtlich)
Die gesundheitliche Schädigung als Primärschädigung, d. h. die Impfkomplikation, muss neben der Impfung und dem Impfschaden, d. h. der dauerhaften gesundheitlichen Schädigung, im Vollbeweis nachgewiesen sein. Eine Beweiserleichterung beim Primärschaden im Sinne der Beurteilung "des Zusammenhangs zwischen Impfung und manifestiertem Gesundheitsschaden in einer einzigen gedanklichen Etappe" anhand von "Mosaiksteinen" ist damit nicht vereinbar (Aufgabe der Rspr. des 15. Senats des Bayer. LSG, 31. Juli 2012, L 15 VJ 9/09).
Tenor
I. Auf die Berufung wird das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 24. Oktober 2016 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten in beiden Rechtszügen sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerin einen Anspruch auf Versorgung nach dem Impfschadensrecht gemäß §§ 60 ff Infektionsschutzgesetz (IfSG) hat.
Die 1978 geborene Klägerin, für die mit Bescheid vom 27.11.2013 ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 mit einem Einzel-GdB von 20 für eine Blutgerinnungsstörung festgestellt wurde, erhielt am 29.07.2010 und 13.03.2012 von ihrem Arzt Dr. F. jeweils eine Impfung gegen Hepatitis A mit dem Impfstoff Havrix(r) 1440.
Laut Befundbericht vom 07.03.2013 des Allgemeinarztes Dr. M. kam die Klägerin wegen Petechien am Bauch und am Oberschenkel am 06.08.2012 zu diesem. Dabei habe sich, so der Arzt, eine Thrombopenie gezeigt. Vom 07. bis 18.08.2012 wurde die Klägerin stationär im Klinikum P. behandelt. In dem Entlassungsbericht wurden unter anderem die Diagnosen Verdacht auf Idiopathische Thrombozytopenische Purpura, Morbus Werlhof, 08/12, Zustand nach Abrasio und Neurodermitis gestellt. Im Rahmen der Anamneseschilderung ist festgehalten, dass sich die Klägerin aktuell im Urlaub befinde und dass ihr aktuell Petechien im Bereich des Bauches aufgefallen seien, die sich zunehmend auch am Oberschenkel sowie an den Extremitäten ausbreiten würden. Infekt habe sie zuletzt keinen gehabt. Aktuell präsentiere die Klägerin keine Infektzeichen, der Allgemeinzustand sei stabil. Weiter wird in dem ärztlichen Bericht der Verdacht auf ein Uterusmyom (ca. 5,8 cm messbar) geäußert, von starken Regelblutungen berichtet und eine zeitnahe gynäkologische Vorstellung empfohlen. Von 23. bis 29.08.2012 wurde die Klägerin erneut im Klinikum P. behandelt. In dem ärztlichen Bericht des Klinikums vom 27.08.2012 wurde im Hinblick auf die Laborergebnisse bezüglich der Thrombozytenmessung ein "insgesamt diskreter Befund, vereinbar mit einer Autoimmunthrombozytopenie des manchmal akuten Typs, z.B. postinfektiös und reversibel gestellt. Auch in diesem Bericht findet sich die Diagnose Idiopathische Thrombozytopenische Purpura, Morbus Werlhof, 08/12. Am 17.09.2012 suchte die Klägerin ihren Frauenarzt Dr. B. wegen Hypermenorrhoe und Dauerblutung, wie dieser im Befundbericht vom 07.04.2015 mitteilte, auf.
Am 20.02.2013 beantragte die Klägerin beim Beklagten Versorgung nach dem IfSG, da sie an der Morbus Werlhof-Erkrankung infolge der Impfung vom 13.03.2012 leide. Erstmals habe sie ab April 2012 verstärkte Monatsblutungen und ab August 2012 eine Müdigkeit, Petechien und Hämatome bemerkt. Der Beklagte zog die Verwaltungsakte des Verfahrens nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch bei, wertete die o.g. Befundunterlagen aus und beauftragte Prof. Dr. K. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens. Dieser stellte in seinem Gutachten vom 10.08.2013 fest, dass an der Diagnose einer immunthrombozytopenischen Purpura (Immunthrombozytopenie - ITP), akut im August 2012 aufgetreten, anhand der Befunde nicht gezweifelt werden könne. Da der schubweise Verlauf sechs Monate überschreite, sei definitionsgemäß von einer chronischen ITP zu sprechen, d.h. von Morbus Werlhof.
Zur Hepatitis A-Impfung schreibe die Ständige Impfkommission (STIKO) im Epidemiologischen Bulletin vom 22.06.2007, dass in Einzelfällen in der medizinischen Fachliteratur über das Auftreten von neurologischen Störungen sowie über Blutgerinnungsstörungen (Thrombozytopenische Purpura) berichtet worden sei, die im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung aufgetreten seien. Ein ursächlicher Zusammenhang mit der Impfung sei bei diesen Beobachtungen fraglich, es könnte sich in der Mehrzahl dieser Einzelfallberichte, so die STIKO, um das zufällige zeitliche Zusammentreffen von miteinander nicht ursächlich verbundenen selbstständigen Ereignissen handeln. Prof. Dr. K. wies darauf hin, dass für die Minderzahl postvakzinaler thrombozytopenischer Fälle auch die (sehr zurückhaltende) STIKO ernsthaft einen ursächlichen Zusammenhang erwäge. Weiter machte der Sachverständige auf die Rote Liste 2012 aufmerksam, wo unter Nebenwirkungen von Havrix(r) 1440 unter anderem ausdrücklich eine Idiopathische Thrombozytopenische Purpura genannt werde.
Nach den Auswertungen der anamnestischen Angaben betrage das Intervall zwisc...