Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Krankenhausvergütung. Kodierung. maschinelle Beatmung iSd Nr 1001l DKR 2013. Berechnung der abrechenbaren Beatmungsstunden. Begriff der "Entwöhnung". vorherige Gewöhnung an die maschinelle Beatmung nicht erforderlich. Divergenz zur BSG-Rechtsprechung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Forderung einer Gewöhnung an die maschinelle Beatmung als Voraussetzung einer Entwöhnung findet ihre Grundlage weder im Wortlaut der DKR (2013) 1001l noch basiert sie auf fachmedizinisch anerkannten Zusammenhängen (entgegen BSG vom 19.12.2017- B 1 KR 18/17 R = SozR 4-5562 § 9 Nr 8).

2. Die Entwöhnung ist zu definieren als "Befreiung eines Patienten von der Beatmung".

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 29.03.2017 wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

III. Der Streitwert wird auf 5.571,21 € festgesetzt.

IV. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist im Rahmen einer Krankenhausvergütung die Berechnung der Beatmungsstunden.

1. Die bei der Beklagten versicherte C. (J.M.), geboren 1937, wurde im nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhaus der Klägerin vom 07.03.2013 bis 25.03.2013 vollstationär behandelt. J.M. litt an rezidivierendem ventilatorischem Versagen bei exazerbierter COPD. Sie wurde am 07.03.2013 gegen 15 Uhr wegen Atemnot notfallmäßig mit dem Rettungswagen eingeliefert und vom 07.03.2013 bis 09.03.2013 intensivmedizinisch versorgt bei nicht-invasiver Beatmung mit intermittierenden Spontanatmungsperioden. Am 09.03.2013 wurde sie auf der Station Innere Medizin weiterbehandelt bei nochmaliger Übernahme auf die Intensivstation vom 10.03. bis 13.03.2013 ohne Beatmungsbedürftigkeit.

Mit Rechnung vom 19.04.2013 machte die Klägerin unter Zugrundelegung der DRG E40B (Krankheiten und Störungen der Atmungsorgane mit Beatmung ≫ 24 Stunden) bei der Beklagten einen Gesamtbetrag von 8.996,17 € geltend. Die Beklagte zahlte zunächst vollumfänglich. Der MDK kam in seiner Stellungnahme vom 08.08.2014 zu dem Ergebnis, dass lediglich die tatsächlichen Beatmungszeiten heranzuziehen seien (20 Stunden) und damit nach der DRG E65A (Chronisch-obstruktive Atemwegserkrankung) abzurechnen sei. Dem folgend rechnete die Beklagte den streitgegenständlichen Betrag in Höhe von 5.571,27 € mit unstrittigen anderweitigen Forderungen der Klägerin auf.

2. Die Klägerin hat dagegen Klage zum Sozialgericht München erhoben. Die vorliegende Beatmungsform durch eine nicht-invasive Maskenbeatmung stelle zweifellos eine maschinelle Beatmung im Sinne der Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) dar. Hingegen sei der Begriff der Entwöhnung in den DKR nicht definiert. Es sei demnach nicht klar, in welchem Maße eine Gewöhnung an die künstliche Beatmung eingetreten sein müsse, um von einer Entwöhnung ausgehen zu können. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts seien die Vergütungsregelungen streng nach ihrem Wortlaut auszulegen. Demnach sei eine Entwöhnung von einer künstlichen Beatmung bereits dann anzunehmen, wenn diese beginne. In der medizinischen Wissenschaft sei bislang keine Beatmungsform bekannt, welche eine Gewöhnung an eine solche gänzlich verhindern könnte. Die Entwöhnung müsse daher mit jedem Absetzen der Maskenbeatmung beginnen und sei erst erfolgreich abgeschlossen, wenn der Patient über 24 Stunden vollständig ohne maschinelle Unterstützung spontan atme. Entsprechende beatmungsfreie Intervalle zählten zur Beatmungszeit.

Die Beklagte ist der Auffassung des MDK gefolgt, dass vorliegend keine Periode der Entwöhnung angenommen werden könne und somit auch keine fortlaufende Beatmung im Sinne der Kodierregeln vorgelegen habe. Dies habe zur Folge, dass die Beatmungszeit nur rein tatsächlich zu berücksichtigen sei, nicht jedoch auch die Phasen der Spontanatmung. Als unstreitig dokumentiert bestehe daher nur eine intermittierende Maskenbeatmung auf der Intensivstation über insgesamt 20 Stunden.

Das Sozialgericht hat der Klage mit Gerichtsbescheid vom 29.03.2017 stattgegeben. Nach Auslegung der DKR seien die Spontanatmungsphasen zur Beatmungszeit hinzuzurechnen.

3. Dagegen hat die Beklagte Berufung eingelegt und die Begründung im Wesentlichen auf die Entscheidung des BSG vom 19.12.2017 (B 1 KR 18/17 R) gestützt. Eine Entwöhnungsphase, in der beatmungsfreie Intervalle angerechnet werden könnten, habe nicht vorgelegen.

Die Klägerin hat vorgetragen, dass eine Entwöhnung medizinisch keine Gewöhnung voraussetze. Eine semantische Auslegung sei nicht zielführend, da eine Definition der Gewöhnung im Zusammenhang mit der Beatmung nicht existiere.

Nach der pandemiebedingten Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung am 07.04.2020 haben die Beteiligten einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 29.03.2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Gegenstand der Entscheidung waren die Gerichtsakten beider ...

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