Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankenhaus. Entwöhnung von der maschinellen Beatmung auch ohne vorherige Gewöhnung
Leitsatz (amtlich)
Bei der Abrechnung der maschinellen Beatmung verlangt Nr 1001h der Deutschen Kodierrichtlinien 2010 für die Einbeziehung von Spontanatmungsstunden in der Phase der Entwöhnung keine vorherige Gewöhnung des Patienten an die maschinelle Beatmung (entgegen BSG vom 19.12.2017 - B 1 KR 18/17 R = SozR 4-5562 § 9 Nr 8).
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 3. September 2014 aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.132,56 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 25. Februar 2011 zu zahlen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Die Revision wird zugelassen.
IV. Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 4.132,56 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung, insbesondere über den Umfang berücksichtigungsfähiger Beatmungsstunden.
Die Klägerin betreibt ein nach § 108 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zugelassenes Krankenhaus in A..... Darin befand sich die 1939 geborene und bei der beklagten Krankenkasse versicherte Y.... vom 14.01.2010 bis 21.01.2010 in stationärer Behandlung mit den führenden Diagnosen "dekompensierte respiratorische Globalinsuffizienz bei akuter Exazerbation einer chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung, kardiale Insuffizienz bei Verdacht auf koronare Herzerkrankung neben einem vorbestehenden Diabetes mellitus und einer arteriellen Hypertonie". Die Aufnahme erfolgte am 14.01.2010 als Notfall aufgrund zunehmender Luftbeschwerden infolge einer chronisch-obstruktiven Bronchitis.
Am 15.01.2010 wurde die Versicherte kurz nach 06:00 Uhr auf die anästhesiologische Intensivstation übernommen, weil sich ihre respiratorische Situation weiter erheblich und in lebensbedrohlicher Weise verschlechterte. Ab 07:30 Uhr wurde eine nichtinvasive Beatmungstherapie mittels Maske begonnen, die in insgesamt sechs Beatmungsphasen bis zum 16.01.2010 um 10:00 Uhr fortgeführt wurde. Die Beatmung erfolgte durch eine nichtinvasive Beatmung mittels Masken-CPAP/ASB (continuous positive airway pressure/assisted spontaneous breathing - assistierte Spontanatmung) mit PEEP (positive end-expiratory pressure - positiver endexspiratorischer Druck) nicht dauerhaft, sondern in Phasen mit Unterbrechungen: Am 15.01.2010 von 07:30 Uhr bis 12:30 Uhr, danach von 14:30 Uhr bis 24:00 Uhr intermittierende Beatmungsintervalle von zwei Stunden bis maximal 6,5 Stunden. Am 16.01.2010 erfolgte die Beatmung von 03:00 Uhr bis 05:00 Uhr und von 08:00 Uhr bis 10:00 Uhr. Die Beatmungstherapie wurde beendet, weil die Versicherte eine weitere nichtinvasive Beatmung ablehnte.
Unter dem 15.03.2010 stellte die Klägerin der Beklagten den Krankenhausaufenthalt mit insgesamt 7.173,05 EUR in Rechnung, wobei sie die DRG-Fallpauschale F43C (Beatmung ≫ 24 Stunden bei Krankheiten und Störungen des Kreislaufsystems, Alter ≫ 5 Jahre, ohne äußerst schwere CC) und 27 Beatmungsstunden zugrunde legte. Am 01.04.2010 teilte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) Sachsen der Klägerin mit, dass er von der Beklagten einen Prüfauftrag erhalten habe. In der Sozialmedizinischen Stellungnahme des MDK vom 22.06.2010 gab die Fachärztin für Innere Medizin X.... an, dass die Beatmungsstunden nicht korrekt abgerechnet worden seien; es seien nur 18 Stunden Maskenbeatmung dokumentiert. Mit Schreiben vom 01.07.2010 wies die Beklagte die Klägerin darauf hin, dass durch die Änderung der Beatmungsstunden die DRG-Fallpauschale F46B (Invasive kardiologische Diagnostik außer bei akutem Myokardinfarkt, mehr als 2 Belegungstage, mit komplexer Diagnose, Alter ≫ 13 Jahre) zu kodieren sei und bat um Korrektur der Rechnung. Dagegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 19.08.2010 Widerspruch ein. Eine fortlaufende Beatmung sei bei der Maskenbeatmung nicht notwendig. Die Versicherte sei infolge der instabilen respiratorischen Situation mit hohem personellem und Überwachungsaufwand beatmet worden. Bis zum Ende der Beatmung seien auch die beatmungsfreien Intervalle hinzuzurechnen. In einem weiteren Gutachten vom 30.11.2010 des MDK führte die Fachärztin für Anästhesie/Intensivtherapie Dr. med. W.... aus, dass der Widerspruchsargumentation nicht gefolgt werden könne und maximal 18 Beatmungsstunden anzuerkennen seien.
Die Beklagte beglich zunächst den vollen Rechnungsbetrag unter dem Vorbehalt der Rückforderung. Am 24.02.2011 zog sie dann aber den Gesamtrechnungsbetrag durch Verrechnung mit Forderungen aus unstrittigen Behandlungsfällen der Klägerin vollständig wieder ein und zahlte am 25.02.2011 einen Teilbetrag in Höhe von 3.040,49 EUR, wobei sie die DRG-Fallpauschale F46B und 18 Beatmungsstunden zugrunde legte.
Am 07.02.2012 hat die Klägerin beim Sozialgericht Chemnitz (SG) wegen des Differenzbetrags von 4.132,56 EUR zur Rechnung vom 15.03.2010...