Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung. Kodierung. Hinzuzählung beatmungsfreier Intervalle bei der Beatmung mit einem Maskensystem. Wortlaut und Regelungssystem der DKR 1001 (2013). Gewöhnung an die maschinelle Beatmung als Voraussetzung für eine Entwöhnung vom Beatmungsgerät. Annahme einer zielgerichteten Entwöhnungsbehandlung
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Beatmung mit einem Maskensystem sind beatmungsfreie Intervalle nach dem Wortlaut und Regelungssystem der Deutschen Kodierrichtlinien für das Jahr 2013 nicht grundsätzlich, sondern nur während der Dauer der Entwöhnung der Berechnung der Beatmungsdauer hinzuzuzählen.
2. Eine Entwöhnung setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urt. v. 19.12.2017 - B1 KR 18/17 R; Urt. v. 30.07.2019 - B 1 KR 13/18 R, Urt. v. 17.12.2019 - B 1 KR 19/19 R, juris, Rn. 18, Urt. v. 17.12.2020 - B 1 KR 13/20 R, juris) schon begrifflich eine zuvor erfolgte Gewöhnung an die maschinelle Beatmung voraus, also die Beeinträchtigung der Fähigkeit zur Spontanatmung aufgrund der behandelten Erkrankung und/oder durch eine Schwächung der Atemmuskulatur infolge der Beatmung.
3. Eine zielgerichtete Entwöhnungsbehandlung ist anzunehmen, wenn eine Tendenz zur Ausweitung der eigenständigen Atmung erkennbar ist und sich in dieser Veränderung der Beatmungsintervalle das Behandlungsziel manifestiert, dem Patienten mit der Beatmungsunterbrechung nicht mehr nur oder vorrangig die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme zu ermöglichen, sondern ihn von der Beatmung zu befreien.
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 19.061,56 € nebst Zinsen i. H. v. 3 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 23.02.2015 sowie eine Aufwandspauschale von 300,00 € zu zahlen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Der Streitwert wird auf 19.361,56 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin fordert von der Beklagten die restliche Vergütung in Höhe von 19.061,56 € für die stationäre Behandlung des Patienten N. im Sommer 2013 sowie die Zahlung einer Aufwandspauschale.
Der Versicherte der Beklagten, N. wurde in der Zeit vom 02.07.2013 bis 19.08.2013 und vom 26.08.2013 bis 06.09.2013 im Klinikum behandelt, dessen Trägerin die Klägerin ist. Der Versicherte leidet u.a. an einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung, Cor Pulmonale mit kardialem Lungenödem, Schmalkomplextachykardie und koronarer Eingefäßerkrankung.
Am 02.07.2013 wurde der Versicherte als Notfall bei erhöhter Temperatur, Husten und gelblichen Auswurf in der Klinik für Pneumologie und Beatmungsmedizin des Klinikums aufgenommen. Bei anhaltender kardialer Dekompensation sowie zunehmenden Pleuraergüssen mit hohem Sauerstoffverbrauch wurde der Versicherte am 24.07.2013 auf die Intensivstation verlegt. Dort wurde er in der Zeit vom 24.07.2013, 18:00 Uhr bis 29.07.2013, 05:00 Uhr wie folgt nichtinvasiv mit einer Maske beatmet:
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Datum |
Zeitraum Beatmung |
Dauer Beatmung in Stunden |
Zeitraum Beatmungspause |
Dauer Beatmungspause in Stunden |
24.07.2013 |
18:00 - 24:00 |
6 |
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25.07.2013 |
0:00 - 7:00 |
7 |
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7:00 - 8.00 |
1 |
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8:00 - 10:30 |
2,5 |
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10:30 - 12:30 |
2 |
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12:30 - 16:00 |
3,5 |
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16:00 - 17:30 |
1,5 |
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17:30 - 20:30 |
3 |
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20:30 - 22:00 |
1,5 |
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22:00 - 24:00 |
2 |
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Datum |
Zeitraum Beatmung |
Dauer Beatmung in Stunden |
Zeitraum Beatmungspause |
Dauer Beatmungspause in Stunden |
26.07.2013 |
0:00 - 2:30 |
2,5 |
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2:30 - 3:00 |
0,5 |
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3:00 - 7:30 |
4,5 |
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7:30 - 13:30 |
6 |
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13:30 - 15:00 |
1,5 |
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15:00 - 15:30 |
0,5 |
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15:30 - 18:45 |
3,25 |
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18:45 - 0:00 |
5,25 |
27.07.2013 |
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0:00 - 1:45 |
1,75 |
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1:45 - 7:00 |
5,25 |
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7:00 - 24:00 |
17 |
28.07.2013 |
24:00 - 5:00 |
5 |
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5:00 - 24:00 |
19 |
29.07.2013 |
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0:00 - 3:30 |
3,5 |
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3:30 - 5:00 |
1,5 |
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Summe |
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47,5 |
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59,5 |
Am 31.07.2013 wurde der Versicherte in die Klinik für Pneumologie zurückverlegt und auch hier weiter beatmet. Wegen des Verdachts eines Arterienverschlusses wurde der Versicherte am 19.08.2013 in die Gefäßchirurgie des Klinikums verlegt und kehrte anschließend für die notwendige geriatrische Behandlung vom 26.08.2013 bis zum 06.09.2013 in das Klinikum zurück.
Für die Behandlungen des Versicherten N. in der Zeit vom 02.07.2013 bis 19.08.2013 und vom 26.08.2013 bis 06.09.2013 stellte die Klägerin der Beklagten im Wege der Fallzusammenführung auf Basis der DRG A13G und unter Kodierung von insgesamt 109 Beatmungsstunden mit Schreiben vom 18.09.2013 insgesamt 31.537,56 € in Rechnung.
Die Beklagte beglich die Rechnung zunächst, leitete jedoch anschließend ein Prüfverfahren des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Niedersachsen und im Lande A-Stadt (= MDK) hinsichtlich der Berechnung der Beatmungsstunden ein. Anschließend trat die Beklagte dem von Klägerseite geltend gemachten Anspruch vorprozessual mit der - auf Gutachten des MDK vom 10.03.2014 und 15.01.2015 gestützten - Begründung entgegen, die Anzahl der Beatmungsstunden sei nicht korrekt berechnet worden. Gemäß DKR 1001h sei lediglich eine Gesamtbeatmungszeit von 6 Stun...