Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Vergütung von Krankenhausbehandlung. maschinelle Beatmung. Entwöhnung. Berechnung der Gesamtbeatmungszeit nach DKR 2011
Leitsatz (amtlich)
Während der Zeit des Übergangs von der maschinellen Beatmung zur Spontanatmung (Entwöhnungsphase) zählten im Jahr 2011 auch beatmungsfreie Intervalle zur Gesamtbeatmungszeit. Aus den Regelungen in den Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) 2011 zu "Berechnung und Dauer der Beatmung" lässt sich nicht ableiten, dass für eine Entwöhnung mindestens eine vorhergehende 24-stündige Beatmung stattgefunden haben muss.
Orientierungssatz
Nach der eng am Wortlaut erfolgten Auslegung der Abrechnungsbestimmungen beginnt eine Entwöhnung von der künstlichen Beatmung bereits mit deren Beginn (vgl LSG Darmstadt vom 5.12.2013 - L 1 KR 300/11, LSG Berlin-Potsdam vom 20.11.2015 - L 1 KR 36/13, SG Aachen vom 2.12.2014 - S 13 KR 121/14).
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 06.08.2015 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 6.174,49 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf weitere Vergütung für eine stationäre Krankenhausbehandlung iHv 6.174,49 €.
Die Klägerin betreibt ein nach § 108 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) zur Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassenes Krankenhaus in U..
Der 1966 geborene, bei der beklagten Krankenkasse versicherte J. K. (im Folgenden: Versicherter) leidet an Epilepsie mit komplex fokalen Anfällen bei kongenitalem Hydrocephalus mit geistiger Retardierung. Nach einem generalisierten epileptischen Anfall am 18.01.2011 wurde der Versicherte zunächst ins Krankenhaus B. aufgenommen und am 19.01.2011 bei Fieber bis 41°C in komatösem Zustand auf die Stroke Unit der Neurologischen Klinik der Klägerin verlegt. Bei beginnender Sepsis mit Verdacht auf Aspirationspneumonie wurde eine Antibiose begonnen. Aufgrund einer Magenblutung wurde der Versicherte vom 25. bis 26.01.2011 in die Klinik Innere Medizin II verlegt und in hämodynamisch stabilem Zustand rückverlegt. Am 27.01.2011 wurde der Versicherte kurz nach 23 Uhr auf die anästhesiologische Intensivstation verlegt und bis zur Verlegung am 01.02.2011 zurück nach B. bei Ateminsuffizienz zeitweise nichtinvasiv beatmet (NIV = noninvasive Ventilation) mit dem Gerät Evita4 im Wechsel mit Spontanatmung unter Sauerstoffinsufflation. Die Spontanatmung des Versicherten wurde zum letzten Mal am 01.02.2011 (Tag der Verlegung) mit mehr als 6 Stunden durch Masken-CPAP unterstützt. Es bestand eine Sepsis mit Schock und ein Systemic Inflammatory Response Syndrom (SIRS). Das periphere Kreislaufversagen konnte durch massive Flüssigkeitsgabe und hochdosierte Katecholamine stabilisiert werden. Ab 31.01.2011 waren die Entzündungsparameter rückläufig.
Für die Behandlung des Versicherten vom 19.01. bis 01.02.2011 stellte die Klägerin der Beklagten 10.685,48 € in Rechnung unter Ansatz der DRG A13G (Beatmung ≫95 und ≪250 Stunden ohne komplexe oder bestimmte OR-Prozedur, ohne intensivmedizin Komplexbehandlung, Alter ≪15 J, oder verstorben oder verlegt ≪9 Tage, ohne kompl Diagnose, ohne kompl Prozedur) wegen einer Beatmung zwischen 95 und 250 Stunden (Rechnung vom 17.02.2011). Die Beklagte zahlte zunächst den Rechnungsbetrag und schaltete sodann den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) ein, der den Begutachtungsauftrag mit Schreiben vom 28.02.2011 der Klägerin anzeigte. Mit Gutachten vom 05.04.2011 führte Dr. D. aus, die Beatmungsstunden seien auf Null zu setzen, da weder Beatmungszeiten noch -einstellungen ersichtlich seien. Damit ergebe sich DRG B76C, somit ein Betrag von 4.355,33 €. Mit Schreiben vom 11.04.2011 bat die Beklagte um Rechnungskorrektur. Die Klägerin übersandte daraufhin auch die Intensivkurven zur Beurteilung. Im Zweitgutachten vom 15.03.2013 kam Dr. D. vom MDK zu der Einschätzung, es könnten 79 Beatmungsstunden angerechnet werden, weshalb es bei DRG B76C bleibe. Die Klägerin entgegnete darauf, dass auch die Entwöhnungszeiten zur Gesamtbeatmungszeit zählten, weshalb sich eine Gesamtbeatmungszeit von 113 Stunden ergebe. Dr. D. ergänzte unter dem 13.05.2013, die Pausenzeiten seien nicht anrechenbar. Weaning sei definiert als Phase der Entwöhnung eines beatmeten Patienten vom Beatmungsgerät. Dies liege vor, wenn der Versicherte durch eine langanhaltende invasive Beatmung so geschwächt sei und die Atemmuskulatur so abgebaut habe, dass ein Weaning unumgänglich sei. Im Fall der NIV-Beatmung werde lediglich aufgrund ärztlicher Anordnung oder nach Sättigungsabfall ein weiteres Beatmungsintervall eingeleitet. Am 26.07.2013 rechnete die Beklagte mit einem unstreitigen Behandlungsfall iHv 6.174,49 € auf.
Am 14.11.2013 hat die Klägerin Klage auf Zahlung von 6.174,49 € zum Sozialgericht Ul...