Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziales Entschädigungsrecht. Soldatenversorgung. früherer Wehrdienst. Erfrierungen an den Füßen nach einem Geländemarsch im Winter. Ablehnung einer Wehrdienstbeschädigung durch die Versorgungsbehörde. Überprüfungsverfahren nach 25 Jahren. sozialgerichtliches Verfahren. Anforderungen an den Nachweis eines Primärschadens. Vollbeweis. keine Beweiserleichterungen. Amtsermittlungsgrundsatz statt Parteimaxime. offenkundige Tatsache. Beweis des ersten Anscheins. rechtliches Gehör. Fragerecht an den Sachverständigen. gleicher Rechtszug

 

Leitsatz (amtlich)

1. Prüft die Verwaltung im Rücknahmeverfahren nach § 44 SGB X von sich aus den Sachverhalt erneut ohne sich auf die Bestandskraft des zur Überprüfung gestellten Verwaltungsaktes zu berufen, ist auch im gerichtlichen Verfahren eine umfassende Prüfung vorzunehmen.

2. Der Primärschaden als zweites Glied der dreigliedrigen Kausalkette muss im Vollbeweis erwiesen sein.

3. Die Vorschrift des § 138 Abs 3 ZPO ist im sozialgerichtlichen Verfahren, das durch den Untersuchungsgrundsatz geprägt ist, nicht anwendbar.

4. Der Beweis des ersten Anscheins kann grundsätzlich auch im sozialgerichtlichen Verfahren Anwendung finden.

5. Das Recht eines Beteiligten, Fragen an einen Sachverständigen zu stellen, besteht grundsätzlich nur für solche Gutachten, die im selben Rechtszug erstattet worden sind.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 16.04.2018; Aktenzeichen B 9 V 8/18 B)

 

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 16. Juli 2014 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob dem Kläger auf Grundlage eines Überprüfungsverfahrens ab dem 01.01.2005 Versorgungsleistungen nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) aufgrund von Erfrierungen an beiden Füßen als Folgen einer Wehrdienstbeschädigung zu gewähren sind.

Der im Jahr 1961 geborene Kläger und Berufungskläger (im Folgenden: Kläger) begann 1976 nach seiner Schulausbildung zunächst eine Lehre als Bauschreiner, 1978 wechselte er zu einer Ausbildung als Metzger, die er erfolgreich absolvierte. Bis zu seinem Eintritt in den Wehrdienst war er als angestellter Metzgergeselle erwerbstätig.

Der Kläger leistete seinen Wehrdienst vom 01.01.1982 bis 31.03.1983 zunächst beim 2. Transportbataillon 270 in N-Stadt (Grundausbildung), ab April 1982 beim 1. Pionierbataillon 210 (Verpflegungsgruppe Küchen) in B-Stadt. Am 18.01.1982 nahm er tagsüber an einem Eingewöhnungsmarsch teil. Nachdem er sich am 19.01.1982 krank gemeldet hatte, stellte sich der Kläger am 20.01.1982 (Mittwoch) beim Truppenarzt vor und klagte über eine seit Montag bestehende Gefühllosigkeit der Finger nach längerem Aufenthalt in der Kälte. Der Truppenarzt stellte zahlreiche verkrustete infizierte Risswunden beidseits im Fingerbereich sowie eine offene, entzündete Wunde am Fußrücken rechts fußgelenksnah fest und veranlasste eine Aufnahme des Klägers auf die Krankenstation. Dort erfolgte eine Behandlung unter anderem mit Hand- und Fußbädern sowie mit Salbenverbänden. Am 25.01.1982 wurde der Kläger nach deutlicher Besserung der Läsionen im Fingerbereich, bei noch bestehenden Ulzerationen im Bereich des rechten Fußrückens und fortbestehenden Sensibilitätsstörungen im Fingerkuppenbereich (Z.n. Erfrierung bei Geländeausbildung am 18.01.1982) entlassen.

Am 31.01.1982 stellte sich der Kläger wegen einer offenen Blase im Fersenbereich links mit Schmerzen im Knöchelbereich im Sanitätszentrum vor. Er wurde bis 01.02.1982 stationär aufgenommen. Der Kläger schilderte auch Schmerzen im Bereich der Innenseite der Achillessehne. Der Truppenarzt diagnostizierte eine in Abheilung befindliche primär entzündliche Marschblase sowie einen leichte Achillodynie und entließ den Kläger am 01.02.1982 in ambulante Behandlung.

Mit WDB-Blatt vom 02.02.1982 wurde als vorläufige Krankheitsbezeichnung eine Sensibilitätsstörung und Hypothermie aller Finger festgehalten. Zum Sachverhalt wurde mitgeteilt, dass nach den Angaben des Soldaten "am 18.01.1982 bei Geländeausbildung in neuen Handschuhen Finger erfroren" seien. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage voraussichtlich weniger als 25% für 6 Monate.

Am 08.02.1982 wurde der Kläger wegen Beschwerden in den Fingern im Bundeswehrkrankenhaus (BWK) B-Stadt stationär aufgenommen und dort bis 08.03.1982 wegen Fingererfrierungen I. Grades an beiden Händen, einer Balanitis plasmacellularis, einer Steißbeinfistel, Marschblasen an beiden Fersen (links stärker entzündet) und einem Schweißdrüsenabszess in der rechten Achsel stationär behandelt.

Auf den Hinweis des Wehrbereichsgebührnisamtes (WBGA) V im Schreiben vom 01.03.1982 bezüglich einer erforderlichen Antragstellung beim Versorgungsamt teilte der Kläger mit Schreiben vom 05.03.1982 mit, dass er sich noch im BWK B-Stadt befände. Nach Mitteilung der behandelnden Ärzte könne momentan jedenfalls für die Erfrierungen an beiden Händen nicht mehr getan werden als geschehen sei. Die Fußve...

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