Entscheidungsstichwort (Thema)
Erwerbsminderungsrente: Rentenrelevante Einschränkung der Wegefähigkeit
Leitsatz (amtlich)
Zu den Voraussetzungen eines Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsminderung.
Orientierungssatz
Im Einzelfall liegt eine rentenrelevante Einschränkung der Wegefähigkeit nicht vor, wenn dem Versicherten die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln zumutbar ist, weil eine Vermeidung von Triggersubstanzen (hier: Gerüche und Parfüm) hilfreich, die Forderung nach einem derartigen Verzicht wissenschaftlich jedoch nicht begründbar ist.
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 11. Mai 2011 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.
Die 1965 in Kroatien geborene Klägerin, kroatische Staatsangehörige, ist im Februar 1992 in das Bundesgebiet zugezogen. Sie hat nach ihren eigenen Angaben in Kroatien nach dem Abitur eine zweijährige Ausbildung zur Archivistin erfolgreich absolviert. In der Folgezeit war sie als Hilfsarbeiterin, von 1992 bis 2001 als Versandarbeiterin und Pflegehilfskraft sowie zuletzt von November 1999 bis Dezember 2004 als Verkäuferin versicherungspflichtig beschäftigt.
Mit Antrag vom 25. März 2009 begehrte die Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung von der Beklagten. Zur Begründung verwies sie auf ein Attest der behandelnden Internistin Dr. D., in dem auf eine eingeschränkte Gehfähigkeit nach beidseitigem Hüftgelenksersatz, ein depressives Syndrom mit Persönlichkeitsstörung und eine Eisenmangelanämie verwiesen ist.
Die Beklagte holte ein chirurgisch-sozialmedizinisches Gutachten von Dr. U. vom 5. Juni 2009 ein. Dieser diagnostizierte bei der Klägerin eine mäßige Funktionseinschränkung des rechten Hüftgelenks nach künstlichem Gelenksersatz mit Abriss des großen Rollhügels und dadurch bedingter muskulärer Schwäche, eine eingeschränkte Belastbarkeit des linken Hüftgelenks nach künstlichem Gelenksersatz ohne funktionelle Defizite und eine eingeschränkte psychische Belastbarkeit bei Depression, Persönlichkeitsstörung und somatoforme Störung. Die Klägerin sei noch in der Lage 6 Stunden und mehr als Verkäuferin sowie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte bis mittelschwere Tätigkeiten zu verrichten.
Der Antrag wurde daraufhin mit angefochtenem Bescheid vom 19. Juni 2009 abgelehnt.
Zur Begründung des hiergegen erhobenen Widerspruchs verwies die Klägerin auf starke Schmerzen. Sie sei körperlich und psychisch kaputt. Für ihren Haushalt und ihre Kinder könne sie nicht ohne fremde Hilfe sorgen.
Die Beklagte holte einen Befundbericht des behandelnden Neurologen und Psychiaters Dr. E. ein, der von einer anhaltenden somatoformen Störung, einer komplexen Persönlichkeitsstörung (narzisstische und histrionische Anteile) und rezidivierenden depressiven Episoden berichtete.
Die Beklagte holte daraufhin ein nervenärztliches Gutachten von Dr. R. vom 18. Januar 2010 ein. Dr. R. stellte bei der Klägerin eine histrionische Persönlichkeitsstörung, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert, bei Ausschluss einer neurologischen Erkrankung, eine mäßige Funktionseinschränkung des rechten Hüftgelenks, eine eingeschränkte Belastbarkeit des linken Hüftgelenks, Hinweise auf eine essenzielle arterielle Hypertonie und eine allergische Disposition fest. Die Klägerin sei noch in der Lage, als Verkäuferin oder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt 6 Stunden und mehr vollschichtig Arbeiten zu verrichten. Der Widerspruch wurde daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 26. Januar 2010 zurückgewiesen.
Hiergegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhoben und vorgetragen, den Gutachter habe ihr tatsächlicher gesundheitlicher Zustand nicht interessiert. Sie überlege daher, ob sie diesen wegen unterlassener Hilfeleistung verklage. Es seien bei ihr auch weitere Diagnosen vorhanden (MCS). Hierdurch seien ihre Bemühungen gescheitert, ihre Gesundheit in den Griff zu kriegen und in das Arbeitsleben zurückzukehren. Ihr Körper reagiere immer schlimmer auf chemische Duftstoffe, so dass sie nicht mehr putzen, alleine einkaufen, öffentliche Verkehrsmittel oder Autos benutzen könne. Bei jeder Berührung mit einem Duftstoff leide sie für längere Zeit unter Atemnot und unter starken Schmerzen.
Das SG hat diverse Befundberichte beigezogen und gemäß § 106 Sozialgerichtsgesetz - SGG - Beweis erhoben durch Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens von Dr. A. vom 15. November 2010 und eines arbeits-/umweltmedizinischen Gutachtens durch Dr. W. vom 26. Oktober 2010.
Dr. A. hat bei der Klägerin folgende Gesundheitsstörungen festgestellt:
1. Erkrankung beider Hüftgelenke, Zustand nach operativer Behandlung; bleibende Läsion des Nervus cutaneus femoris lateralis rechts (mit Sensibilitätsminderung an der Außenseite des rechten Oberschenkels)
2. Rezidivierende depressive Störung, derzeit remittiert
3. Histrionische Persönlichkeitsstörung
4. V...