Entscheidungsstichwort (Thema)

Elterngeld. Anspruchsberechtigung. 1,5-jähriges befristetes Forschungsstipendium des Vaters in den USA. Freistellung der Mutter als Richterin. Aufgabe des Wohnsitzes in Deutschland. kein Doppelwohnsitz. Rückkehrabsicht und Rückkehrmöglichkeit nicht ausreichend. gelegentliche Besuche und Kurzaufenthalte in Deutschland nicht entscheidend. Erforderlichkeit zwischenzeitlichen Wohnens. Ausstrahlungswirkung. Rumpfarbeitsverhältnis bei Suspendierung der Hauptpflichten. Verfassungsrecht. Gleichheitssatz. hinreichender Inlandsbezug nur durch § 4 SGB 4

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zu den Voraussetzungen der Beibehaltung des Wohnsitzes im Inland bei einem mehr als einjährigen Auslandsaufenthalt.

2. Zu den Voraussetzungen einer Entsendung nach § 4 SGB 4.

3. Für den Anspruch auf Elterngeld nach § 1 Abs 2 Nr 1 BEEG im Rahmen eines Auslandsaufenthaltes reicht es nicht aus, wenn im Inland lediglich ein Rumpfarbeitsverhältnis fortbesteht, die Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis aber suspendiert sind.

 

Orientierungssatz

1. Bei von vornherein auf mehr als ein Jahr angelegten Auslandsaufenthalten reichen die Feststellung der Rückkehrabsicht und der Möglichkeit der jederzeitigen Rückkehr in die Wohnung allein nicht aus, um die Aufrechterhaltung des Inlandswohnsitzes anzunehmen. Auch kurzzeitige Besuche und sonstige kurzfristige Aufenthalte zu Urlaubs-, Berufs- oder familiären Zwecken, die nicht einem Aufenthalt mit Wohncharakter gleichkommen und daher nicht "zwischenzeitliches Wohnen" in der bisherigen Wohnung bedeuten, ändern daran nichts (vgl BSG vom 28.5.1997 - 14/10 RKg 14/94 = SozR 3-5870 § 2 Nr 36).

2. Zieht die Familie für die Zeit eines 1,5-jährigen Forschungsstipendiums des Familienvaters ins außereuropäische Ausland (hier: USA) und kehrt sie in dieser Zeit nur für ein oder zwei kurzfristige Aufenthalte nach Deutschland zurück, hat sie ihren inländischen Wohnsitz nach § 30 Abs 3 S 1 SGB 1 aufgegeben.

3. An dieser Betrachtung ändert sich auch nichts, wenn die Mutter als Richterin ihre Tätigkeit nach Beendigung des Auslandsaufenthaltes nur in Deutschland ausüben konnte.

4. Sind die Hauptpflichten des Arbeitsvertrages für die Zeit des Auslandsaufenthalts (hier des Vaters durch Freistellungsvereinbarung unter Gewährung von Sonderurlaub bei Wegfall des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung) suspendiert, liegt nur ein „Rumpfarbeitsverhältnis“ vor, welches für die Ausstrahlungswirkung nach § 1 Abs 2 S 1 Nr 1 BEEG iVm § 4 SGB 4 nicht ausreicht (vgl BSG vom 17.11.1992 - 4 RA 15/91 = BSGE 71, 227 = SozR 3-2600 § 56 Nr 4 sowie BSG vom 24.6.2010 - B 10 EG 12/09 R = SozR 4-7833 § 1 Nr 11).

5. Der Gesetzgeber darf in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise für den Leistungsexport an ein nach § 4 SGB 4 der inländischen Sozialversicherung unterliegendes Beschäftigungsverhältnis und damit an einen hinreichenden Inlandsbezug bei vorübergehender Arbeitsleistung im Ausland anknüpfen.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 23.03.2017; Aktenzeichen B 10 EG 21/16 B)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 26.02.2016, S 14 EG 25/14 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtlichen Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Elterngeld für den ersten bis zwölften Lebensmonat ihres am 24.11.2013 in den USA geborenen Sohnes L.

Bei der Antragstellung am 10.02.2014 gab sie an, dass die gesamte Familie seit September 2013 in den USA lebe, weil ihr Ehemann ein 18-monatiges Forschungsstipendium der A. -Stiftung in den USA angenommen habe. Dafür sei ihm von seinem Arbeitgeber, dem Klinikum I., unbezahlter Sonderurlaub gewährt worden. Auf Nachfrage des Beklagte teilte die Klägerin mit Schreiben vom 02.04.2014 mit, es bestehe weiter ein Wohnsitz bzw. gewöhnlicher Aufenthalt in A-Stadt. Die Mietwohnung in der A-Straße 32 in A-Stadt habe man nicht gekündigt, sie sei für die Dauer des Auslandaufenthaltes zeitlich befristet vom 01.09.2013 bis 28.02.2015 an Freunde untervermietet. Sämtliche Einrichtungsgegenstände seien in der Wohnung verblieben. In Absprache mit den Untermietern könne man dort bei Bedarf jederzeit wieder einziehen. Der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse liege in A-Stadt, weil sowohl die Klägerin als auch ihr Ehemann dort beruflich gebunden seien, unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland bestehe und Bankkonten, Handyverträge, Versicherungen und Altersvorsorge weiter in Deutschland unterhalten würden. Die Klägerin könne ihren Beruf als Richterin am Amtsgericht nur in Deutschland ausüben, während des Mutterschutzes habe sie bis zum 20.01.2014 Bezüge erhalten. Die der Familie in den USA erteilten Visa seien zeitlich beschränkt und von ihrer rechtlichen Ausgestaltung her nicht geeignet, einen gewöhnlichen Aufenthalt in den USA zu vermitteln. Im April/Mai 2014 sei ein 3-wöchiger Aufenthalt in Deutschland geplant, unter anderem um Arzttermine wahrzunehmen. Bei einem unter zwei Jahre dauernden Auslandsaufenthalt gehe auch die ...

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