Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirtschaftlichkeitsprüfung. Anlaufpraxis. Praxisbesonderheit
Orientierungssatz
Eine Anlaufpraxis kann zwar eine Praxisbesonderheit sein, weil sich in ihr notwendigerweise neue Patienten einfinden, die eines höheren Diagnose- und Behandlungsaufwands bedürfen. Keine Praxisbesonderheit ist jedoch die subjektive Unerfahrenheit des Arztes, die darauf beruht, daß er im allgemeinen noch nicht weiß, wie sich sein Behandlungsverhalten kostenmäßig zu der Vergleichsgruppe verhält(vgl zuletzt BSG vom 15.12.1987, 6 RKa 19/87 = BSGE 63, 6 = SozR 2200 § 368n Nr 52).
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der vom Beklagten gegen den Kläger festgesetzten Honorarkürzung bei den Sonderleistungen in Höhe von 8 % wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise im 4. Quartal 1991 im Primärkassenbereich. Der Kürzungsbetrag beläuft sich auf DM 2.358,43.
Der Kläger nahm seit dem 2. Quartal 1991 als Lungenarzt in N. bei R. an der kassenärztlichen Versorgung teil. Im 4. Quartal 1991 behandelte er 160 Primärkassenpatienten. Mit dieser Fallzahl lag er um 67,6 % unter der Durchschnittsfallzahl der Arztgruppe von 494 Fällen. Sein Rentneranteil betrug 20 %. Damit unterschritt er den Rentneranteil der Arztgruppe von 28,5 % um 29,5 %.
Für die Sonderleistungen forderte er ein Honorar von 310.320 Punkten an. Mit seinem Fallwert von 1.939,5 Punkten überschritt er den gewichteten Fallwert der Arztgruppe von 1.154,6 Punkten um 68,0 %.
In den übrigen Leistungsgruppen waren folgende Über- bzw. Unterschreitungen festzustellen: Beratungen/Visiten + 66,1 %, Besuche + 595,2 %, Eingehende Untersuchungen + 4,5 %, Allgemeine Leistungen + 30,3 %, Physikalisch-medizinische Leistungen - 9,1 %, Basis/Allgemeine Laboruntersuchungen - 72,6 %, Radiologische Leistungen + 7,3 %.
Für sämtliche Leistungen und sonstige Hilfen machte der Kläger einen Leistungsbedarf von 458.139 Punkten geltend. Mit seinem Fallwert von 2.863,4 Punkten überstieg er den gewichteten Fallwert der Arztgruppe von 1.928,1 Punkten um 48,5 %.
Die Verordnungstätigkeit des Klägers wies für das 4. Quartal 1991 folgendes Bild auf: Arzneikosten ohne Sprechstundenbedarf - Fallwert des Arztes DM 87,05 gegenüber DM 142,40 bei der Arztgruppe, was einer Unterschreitung um 36,7 % gewichtet entsprach, Sprechstundenbedarf - Fallwert des Arztes DM 18,45, Fallwert der Arztgruppe DM 2,70; Überschreitung 583,3 %, Krankenhauseinweisungen - Häufigkeit 2,7 auf 100 Behandlungsfälle gegenüber 1,8 bei der Arztgruppe, abgeschlossene AU-Fälle - Häufigkeit 1,3 gegenüber 5,9 bei der Arztgruppe, AU-Tage - Häufigkeit 2,0 gegenüber 25,8 bei der Arztgruppe.
Mit einem Anteil von 22,5 % bei den Überweisungen unterschritt der Kläger den Anteil der Arztgruppe von 25,8 %.
Auf Antrag der Beigeladenen kürzte der Prüfungsausschuß Ärzte Oberpfalz mit Bescheid vom 14. April 1992 das angeforderte Honorar für Beratungen/Visiten um 20 % sowie für Sonderleistungen um 15 %.
Zur Begründung seines dagegen eingelegten Widerspruchs trug der Kläger mit Schriftsatz vom 16. April 1992 im wesentlichen folgende Punkte vor: Im Bescheid sei nicht angegeben, auf welcher Rechtsgrundlage die Kürzung erfolgt sei. Ihm sei keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Aufgrund seiner Zusatzbezeichnung Allergologie sei er mit den Lungenärzten mit dieser Zusatzbezeichnung zu vergleichen. Es sei auch nicht angegeben worden, wieso der statistische Fallkostenvergleich gewählt worden sei. Zudem befinde er sich - selbst wenn man Praxisbesonderheiten unberücksichtigt lasse - nicht im offensichtlichen Mißverhältnis. Außerdem seien die von ihm bereits früher angegebenen Praxisbesonderheiten nicht berücksichtigt worden. Er führe eine Vielzahl von Untersuchungen durch, die weniger als 50 % der Kollegen der Vergleichsgruppe erbrächten. Es sei auch nicht angegeben worden, in welcher Höhe die im Aufbau befindliche Praxis gewürdigt worden sei. Es sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auch ausführlich zu begründen, wieso eine Restunterschreitung unterhalb von 50 % festgesetzt worden sei.
In der Sitzung des Beklagten am 22. Juli 1992 verwies er laut Niederschrift ergänzend auf seine sparsame Praxisführung sowie die Problematik der Anlaufpraxis. Seiner Ansicht nach sei der Bedarf an diagnostischen Leistungen gerade in dieser Phase erhöht. Er bemängelte, daß als erste Prüfmaßnahme- eine materielle Prüfmaßnahme ausgesprochen worden sei. Zu beachten sei weiter die Inhomogenität der Fachgruppe.
Mit Bescheid vom 1-9. Oktober 1992 ermäßigte der Beklagte die Kürzung bei den Beratungen/Visiten auf 10 % und bei den Sonderleistungen auf 8 %.
Auf die daraufhin zum Sozialgericht München erhobene Klage (Az.: S 38 Ka 1090/92) hob dieses mit Urteil vom 9. Februar 1994 den Bescheid vom 19. Oktober 1992 insoweit auf, als in der Leistungsgruppe O8 eine Honorarkürzung in Höhe von 8 % vorgenommen worden sei. Der Beklagte wurde verpflichtet, insoweit erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über den Widerspruch des Klä...