Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Kostenerstattung. Entscheidungsfrist für den Eintritt der Genehmigungsfiktion bei Durchführung eines Gutachterverfahrens nach dem Bundesmantelvertrag für Zahnärzte. Rücknahme, Widerruf oder Aufhebung einer fingierten Leistungsgenehmigung
Leitsatz (amtlich)
Nach § 275 Abs 1 SGB V ist für die Prüfung der Leistungspflicht in einem zahnmedizinischen Behandlungsfall allein der MDK zuständig. Führt die Krankenkasse unter Missachtung dieser gesetzlichen Aufgabenzuweisung gleichwohl ein nach dem Bundesmantelvertrag für Zahnärzte vorgesehenes Gutachterverfahren durch anstatt den MDK zu beauftragen, beträgt die Entscheidungsfrist nach § 13 Abs 3a SGB V nur drei Wochen.
Orientierungssatz
Zur Frage der Rücknahme, des Widerrufs oder der Aufhebung einer fingierten Leistungsgenehmigung durch die Krankenkasse (entgegen BSG vom 8.3.2016 - B 1 KR 25/15 R = BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33).
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 20.01.2016 wird zurückgewiesen.
II. Der Bescheid vom 11.08.2016 wird aufgehoben.
III. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitgegenstand ist eine Implantatversorgung der Klägerin einschließlich Augmentation und Suprakonstruktion im Oberkiefer und Unterkiefer.
Die 1947 geborene Klägerin legte bei der Beklagten am 13.11.2014 (Eingangsstempel) der Beklagten einen Heil- und Kostenplan vom 28.10.2014 des Facharztes für Oralchirurgie B. für eine prothetische Versorgung vor mit einer Anlage, in der der voraussichtliche Eigenanteil für die Suprakonstruktion mit 7.828,30 € beziffert ist. Der Festzuschuss sollte sich auf 796,70 € belaufen.
Zwei weitere Kostenvoranschläge (Kostenaufstellung und Behandlungsplan) vom 28.10.2014, ebenfalls eingegangen am 13.11.2014, betrafen eine Implantatversorgung mit Augmentation im Unterkiefer (Implantate regio 33 und 43) und im Oberkiefer (Implantate regio 14, 12, 22, 24).
Die Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 18.11.2014 mit, dass für implantologische Leistungen grundsätzlich keine Leistungspflicht bestehe und zur Prüfung, ob eine Ausnahmeindikation vorliege, der behandelnde Zahnarzt angeschrieben worden sei. Der Facharzt für Oralchirurgie B. erklärte mit Telefax vom 27.11.2014, dass aus seiner Sicht eine Ausnahmeindikation wegen dauerhaft bestehender extremer Xerostomie bestehe nach Bestrahlung und HNO-Tumor-Operation 2009 in der Uniklinik Ulm. Eine konventionelle Versorgung ohne Implantate sei nicht möglich.
Die Beklagte wandte sich daraufhin mit Schreiben vom 03.12.2014 unmittelbar an Herrn Dr. X und beauftragte ihn mit der Begutachtung der geplanten implantologischen Leistungen. Mit Schreiben vom gleichen Tag informierte die Beklagte die Klägerin hierüber. Sobald das Gutachten vorliege, werde über den Antrag entschieden.
In seinem eine DIN-A 4 Seite umfassenden Gutachten vom 22.12.2014 nach persönlicher Untersuchung vom selben Tag führte Dr. X. aus, dass sich die Klägerin in zahnlosem Zustand mit provisorischen Totalprothesen im Oberkiefer und Unterkiefer vorgestellt habe. Zum Untersuchungszeitpunkt habe sich eine sehr gute Speichelbildung im gesamten Mundbereich gezeigt. Die Schleimhaut sei an keiner Stelle trocken oder gerötet gewesen. Eine Xerostomie sei nicht feststellbar. Die Patientin klage lediglich über nächtliche Mundtrockenheit. Die Interimsprothese im Oberkiefer zeige einen sehr guten Saughalt. Die Kieferkämme im Oberkiefer und Unterkiefer seien sehr gut erhalten. Eine konventionelle Versorgung sei möglich. Eine Ausnahmeindikation liege nicht vor. Ein medizinischer Zusammenhang zur früheren Tumortherapie sei nicht erkennbar. Es handle sich nicht um eine Ausnahmeindikation nach § 28 Abs. 2 SGB V.
Dieses Gutachten ging bei der Beklagten am 29.12.2014 ein. Mit Bescheid vom 30.12.2014 lehnte die Beklagte daraufhin eine Kostenübernahme ab.
Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch und berief sich auf das Schreiben ihres Zahnarztes sowie einen onkologischen Brief des Universitätsklinikum Ulm vom 13.01.2015. Darin wird ausgeführt, dass die Zahnschäden aus HNO-ärztlicher Sicht gut durch die ausgeprägte Xerostomie erklärbar seien. Der Facharzt für Oralchirurgie B. führte in einem Attest vom 26.01.2015 aus, dass es in Folge der onkologischen Therapie zu einer ausgeprägten Xerostomie gekommen sei, die eine massive Schädigung der vorhandenen Zähne nach sich gezogen habe, so dass im Rahmen einer Sanierung alle Zähne entfernt werden mussten. Ohne Implantate sei kein zufriedenstellender Prothesenhalt zu erreichen.
Die Beklagte erteilte am 18.02.2015 dem Facharzt für Oralchirurgie B. den Hinweis, dass ein Antrag auf Obergutachten bei der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung einzureichen sei sowie dass die Kosten des Obergutachtens der Antragsteller zu tragen habe. Am 24.02.2015 übersandte die Beklagte der Klägerin einen inhaltsgleichen Hinweis und bat um Mitteilung, ob B. eine...